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Redaktionsgespräch 12.2000

Flaschenpost?

Von der möglichen Unmöglichkeit linker Öffentlichkeit

Im Moment verschwindet eine linke Publikation nach der anderen. Woran liegt das? Fehlt den linken Themen einfach der Markt? Gibt es nichts mehr zu sagen oder steht schon alles in den Zeitungen? Fünf Jahre nach Lancierung streichen wir vom MOMA die Segel – nicht ohne kritisch zurückzublicken auf unsere Motivation und unser Projekt.

Roland Brunner: Ich bin über Bücherberge und Gletscherspalten zur Linken gestossen. Aufgewachsen im Glarnerland, fand ich den Weg zur Politik an der Mittelschule über Liedermacher und Literatur. Bevor je ein Linker leibhaftig vor mir stand, hatte ich Marx, Engels, Lenin, Trotzki und vor allem Wolfgang Leonhards "Dreispaltung des Marxismus" gelesen. Danach wusste ich, wohin ich wollte: Ich wandte mich an die damalige RML1, um in den Kreis der revolutionären MarxistInnen aufgenommen zu werden. Dieser Werdegang hat mich geprägt und bestimmt mein Verständnis von Medienarbeit noch heute. Trotzki hiess mit Spitznamen "Die Feder". Aufklärung durch Worte, die Wahrheit zu sagen und zu schreiben, gegen stalinistische Verdrehungen der sozialistischen Ideale anzukämpfen, an die Möglichkeit zum Guten im Menschen zu glauben und gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen, hier sah und sehe ich die Chance linker Politik.

So wandte ich mich überall ab, wo es nach Machtkämpfen und Karriereplanung roch und schloss mich Kreisen an, in denen gemeinsame Interessen und Projekte politisches Handeln ermöglichten. Auf die Kaderschule RML folgte die Sozialistische Arbeiterpartei SAP, bis die ihr Scheitern mit Auflösung eingestand. Ich liess die Parteien bleiben und engagierte mich stattdessen in den sogenannten neuen Bewegungen. Der Übergang von der "Bresche"2 zum MOMA entsprach dieser Philosophie: Bewegung statt Behörden, Projekte statt Produkte, Inhalte statt Schlagzeilen, Aufklärung statt Auflagen..., viele, zu viele "statt".

Unsere Öffentlichkeit ging kaum über den Kreis der Eingeweihten hinaus. Ein Magazin kann die politische Diskussion der Linken nur dokumentieren, wenn diese auch geführt wird. Wenn die Linke aber in Antiblocherismus und Antiamerikanismus, mit Mulitkulti-Essen und Worldmusic-Geriesel dahindämmert, bleibt kaum Raum für den Streit um Inhalte. Statt um Profil kämpft diese Linke um Posten.

Die vielen Fragen bleiben. Und deshalb schreibe ich wohl weiter, in der Hoffnung, dass ich irgendwo irgendwann weitere Menschen treffe, mit denen ich weiterfragen und vielleicht sogar eines Tages Antworten finden kann.

Kurt Seifert: Ich möchte ebenfalls etwas ausholen. Wie kam ich zur linken Politik? Als mein Idol wirkte Rudi Dutschke. In seinem Auftritt lag das Versprechen, die Welt könnte anders werden – auch meine eigene, enge, kleinstädtische Welt. Diese andere Welt lag für mein Gefühl nicht im "anderen Deutschland". Das kannte ich durch Besuche bei Verwandten. Es war mir zu miefig, noch beengender als die Verhältnisse, in denen ich lebte. "Unser Heil kommt aus Bolivien" hiess der Titel eines Artikels in der Zeit, der 1967 erschienen war. Dort kämpfte und fiel Che Guevara. Wenn überhaupt, dann würde auch unsere Befreiung aus der "Dritten Welt" kommen, glaubte und hoffte ich damals. Ein Besuch in China im Frühjahr 1978 ernüchterte mich allerdings: Von einem besseren Leben war da wenig zu sehen. Mit dieser Reise ging mein mehr oder weniger maoistisches Jahrzehnt zu Ende.

Später engagierte ich mich in der Friedens-, der ökologischen und der Drittweltbewegung – in diesem Bereich fand ich auch eine berufliche Perspektive. In den 80er-Jahren prägte mich Rudolf Bahro3, der den traditionellen Marxismus kritisierte und die Überlebensfragen der Menschheit thematisierte. Mit dem Antritt Gorbatschows in der Sowjetunion leuchtete noch einmal – auch bei mir – die Hoffnung auf, der Geist der Oktoberrevolution könnte in einer zivileren und menschenfreundlicheren Gestalt wieder auferstehen. Die Wende 1989/91 zeigte dann, dass diese Form des Sozialismus kein Potenzial mehr besass, und dies seit 1968, als Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten.

Was hat dies alles mit dem MOMA zu tun? In der Zeit der Wende lernte ich die "Bresche" kennen und später auch einige Menschen, die hinter diesem Projekt standen. Weil mich in jenen Jahren vor allem die Frage beschäftigte, was wir gegen den real-existierenden Krieg in Europa unternehmen können, wurden unsere Verbindungen immer enger. Schliesslich schrieb ich auch ab und zu für die "Bresche", war an den Gründungsdiskussionen für das MOMA beteiligt und arbeitete mit (zwischendurch allerdings mit einem Decknamen, wie in guten alten konspirativen Zeiten). Besonders angesprochen hat mich die Offenheit dieses Projekts.

Nicht immer machte MOMA mich glücklich. Ich hätte mir gewünscht, dass wir nicht nur das widerspiegeln, was sich in der Linken tut (falls sich etwas tut), sondern dass wir unseren Ort in der Welt, von dem aus wir denken und handeln, klarer präzisieren. So etwas muss nicht zu Sektierertum führen, wenn auch die Gefahr gross ist, sich in alt-linker Manier in irgendwelchen Auseinandersetzungen zu verkrallen, ohne noch einen Blick für die gesellschaftliche Wirklichkeit zu haben.

Maja Wicki: Vorrangig war für uns doch die Beschäftigung mit der Sprache, das damit verknüpfte Denken, die damit verbundenen Empfindungen. Wir alle haben erfahren, was Sprache bedeutet, aber auch, wie sie sich auswirkt, wenn sie ideologischen Zwecken dient. Ihr habt verschiedene politische Richtungen erwähnt, die Widerstand leisten wollten, aber ihrerseits wieder totalitäre Tendenzen zeigten, sodass erneut Widerstand notwendig war. Dafür steht das MOMA. Für diese Idee haben ganz unterschiedliche Personen mit individuellen Befähigungen, trotz grosser Probleme beim Aufbau, während fünf Jahren nicht aufgegeben.

Als Mitarbeiterin beim Tages-Anzeiger hattest du ja ein sehr viel grösseres Publikum als beim MOMA.

Maja Wicki: Ich habe in den 80er-Jahren bei der Weltwoche gearbeitet, später auch beim alten Magazin des Tages-Anzeigers. Aber das MOMA schien mir, für die gesellschaftsanalytischen Fragen, die mich interessierten, geeigneter: Wie gehen Menschen mit Unrecht um? Wie ist es möglich, dass Menschen grundlegende Bedürfnisse umsetzen können ohne kriminell zu werden? Andere Publikationen konnten sich nicht leisten, mir von den Themen und Zugängen her Freiheit zuzugestehen. Manchmal erlebte ich an diesen Orten auch Widerstand, was im Freundeskreis von MOMA nicht der Fall war. Hier konnten wir etwas gestalten, unser Denken und unsere Empfindungen für ein grösseres Publikum übersetzen. Es ging nicht nur um unsere eigene Entwicklung und Entfaltung. Das hat mich auch immer zur Zusammenarbeit ermutigt. Dies wird ohne den Rahmen von MOMA schwieriger werden.

Yves Kramer, du bist erst jüngst zu MOMA gestossen. Was war für dich die Motivation, für MOMA zu schreiben?

Yves Kramer: Daniel Lampart hat mich gefragt, ob ich etwas darüber schreiben möchte, wie Betroffene ihre Erwerbslosigkeit wahrnehmen. Diese Frage bewegte mich im Rahmen meiner Ausbildung zum Sozialarbeiter. Das war für mich ein unverhoffter Einstieg. Ich bin seither an die Redaktionssitzungen gekommen, und jetzt habe ich mich eigentlich eingelebt (Gelächter).

Privat wie politisch dient mir Schreiben für die Reflektion. Das Schreiben im MOMA kam meinen politischen Interessen, mich selbst einzumischen, entgegen. Wir haben hier über die Möglichkeiten emanzipatorischer Politik debattiert. Sonst bewege ich mich in kleinen ausserparlamentarischen Gruppen. Dort fehlt mir oft die Diskussion, weil wir über das Grundlegende oft nicht hinaus kommen. MOMA ermöglichte mir etwas, wonach ich lange suchte: eine Diskussion jenseits der Gruppengrenzen. Ausserdem lernte ich beim MOMA mir unbekannte Seiten linker Politik kennen. Ohne die GBI-Nummer wäre ich wahrscheinlich nicht an deren Kongress gewesen und hätte darüber berichtet. Schliesslich konnte ich im MOMA auch eine politische Bildung erwerben, die man sonst nirgends mehr findet.

Was waren denn weitere Ansprüche an MOMA?

Franz Horváth: Während dem Studium habe ich viel politisiert, bin dann zur Bresche gestossen und bin dort während einem Jahr als Redaktor eingesprungen. Ich bin eigentlich eher pragmatisch ausgerichtet, gleichzeitig allerdings der Ansicht, dass es radikales Andersdenken braucht. Die Linke hat das bitter nötig. Als ich zusammen mit Hans Hartmann an unserem Buch über die SVP arbeitete, haben mich diese Fragen intensiv beschäftigt. Mein Ziel und meine Hoffnung war, im MOMA solchen Fragen weiter auf den Grund gehen zu können.

Wir sind dann bald an Grenzen gestossen, aus materiellen, zeitlichen, persönlichen und beruflichen Gründen. Neben den alltäglichen Dingen blieb am Ende für die eigentliche Diskussion zu wenig Zeit. Wir standen da vor einem Problem, welches in der letzten Zeit einen grossen Teil der linken Presse trifft. Viele Ressourcen gehen für eine Vielfalt drauf, die letztlich eine vielfältige Debatte behindert. Besonders deutlich zeigt sich das bei den Gewerkschaftszeitungen.

Da stellt sich die Anschlussfrage: Braucht es überhaupt eine linke Presse?

Maja Wicki: Es braucht nicht nur eine Schilderung der Fakten. Politische Entwicklungen, Machtübergriffe usw. gehören auch interpretiert. Darunter fallen die Arbeitsverhältnisse, die Rechte der Menschen, die hier leben oder die Zuspitzung von Machtgefällen. Eine Fusion aller linken Medien und Gruppierungen wird die Situation nicht verbessern. Es braucht die Vielfalt des Entwurfs. Bei der Tat bedürfen wir aber der gegenseitigen Unterstützung.

Franz Horváth: So habe ich das mit der Fusion nicht gemeint. Natürlich braucht es für gesellschaftlichen Wandel autonome Medien, die den Mainstream durchbrechen.

Ist heute nicht alles Mainstream? Findet man nicht alle Meinungen bereits in den Tageszeitungen?

Maja Wicki: MOMA wollte immer ein Forum für Überlegungen bieten und schwierige Zuspitzungen zu einem öffentlichen Ausdruck bringen. In anderen Publikationen, die ähnlich wie MOMA aufgebaut waren, ist uns dies gelungen. Ich denke beispielsweise an die bosnischen Flüchtlinge, darunter allein stehende Frauen und Kinder, die 1998 sofort in ein Land hätten ausgeschafft werden sollen, in dem sie nur traumatisiert worden sind. Eine Gruppe dieser Frauen und Kinder hat sich zusammengefunden und mich und Anni Lanz aufgefordert, sie zu unterstützen. Mit dem daraus entstandenen Buch ist eine Verhinderung der Ausschaffung ermöglicht worden. Dies bedeutet, dass Widerstand gegen Machtmissbrauch immer möglich ist. So habe ich auch das MOMA verstanden.

Kurt Seifert: Information kann man sich heute schnell beschaffen. Die Schwierigkeit besteht in der Gewichtung dieser Information: Aus der Information folgt wenig Aktion. Was tue ich angesichts der neusten Erkenntnisse der Klimaforschung beispielsweise? Was bedeutet das für uns? Wie können wir uns zur Wehr setzen? Die Medien bläuen uns ständig ein, dass Widerstand nichts nützt und dass wir nichts verändern können. Diese Kluft konnte auch MOMA nicht überbrücken, aber es war ein Versuch, daran zu arbeiten.

Fürs kleine Publikum haben wir grosse Fragen gestellt. War das Publikum zu klein, oder waren es die falschen Fragen?

Daniel Lampart: Wir haben ja nicht fürs kleine Publikum geschrieben, sondern wir wollten die Linke an einen Tisch bringen. Sicher sind Fehler passiert, aber wir waren auch von Beginn weg zu klein. Und schliesslich haben wir unser Projekt in eine politische Landschaft gepflanzt, die MOMA nicht in die Hände gespielt hat. Wahrscheinlich stimmt, dass unsere Vorstellung von Gegenöffentlichkeit obsolet geworden ist. Die Informationen sind verfügbar. Es besteht wenig Bedürfnis, diese Information anders zu gruppieren. Ich bedaure daher, dass die grossen Gegenentwürfe zusammengebrochen sind, andererseits ist die Linke klüger geworden. Sie versteht sich in der kapitalistischen Feinsteuerung. Ich staune, worüber die Leute heute Bescheid wissen. Nur schon die Altersvorsorge zu verstehen bedarf grosser Anstrengungen. Zurzeit fehlt aber die Klugheit bei der Linken, alles neu aufzuzäumen. Mir scheint, man ist darin gefangen, sich auszudifferenzieren, aber es fehlt eine Gesamtsicht. Mein Anspruch an MOMA war in Richtung einer Gegenöffentlichkeit zu arbeiten. Aber vielleicht waren auch wir nicht klug, denn wir waren für unsere Ansprüche unterdotiert. Für die heutige Komplexität interessante Artikel zu schreiben, ist ungeheuer schwierig. Die Tagesaktualität ist zu berücksichtigen, und doch muss auch aus der Vogelperspektive vorausgedacht werden. Das konnten wir nicht leisten.

Franz Horváth: Einzelnen Fragen wirklich auf den Grund zu gehen geht möglicherweise besser in spezialisierten Medien. Vielleicht waren wir auf zu vielen Gebieten engagiert und hätten uns einschränken sollen. Damit etwas durchdiskutiert, reif und politisch wirksam werden kann, braucht es wohl eine Spezialisierung.

Roland Brunner: Alle reden vom Informationszeitalter. Heute besteht kein Mangel an Information, eher ein Überfluss daran. Das Problem ist nicht so sehr die Informationsbeschafung als die Informationsauswahl und -verarbeitung. Trotzdem oder gerade deshalb ist Öffentlichkeit aber nicht plötzlich demokratisch geworden. Es besteht eine normative Kraft des Mainstreams, eine mediale Macht. Nehmen wir als Chiffre den Kosov@-Krieg. MOMA hat damals mit einem Extraheft gegen den Mainstream der Medienmeinung angeschrieben, die von einem humanitären Krieg sprach. In diesem Mainstream schwimmt von der Mehrheits-Sozialdemokratie bis hin zur Offiziersgesellschaft alles mit. Dissidenz und Dissonanz wurde mit moralischen Schlagworten weggewischt. Von kleinen dissidenten Kreisen kann aber kein Zeitschriftenprojekt leben. Die Mainstreammedien konnten grosse Teile der linken AbonnentInnen – auch inhaltlich – vereinnahmen. Möglichst schnell und effizient rennt man der Wirklichkeit hinterher und betreibt kapitalistische Feinsteuerung. Die Linken nehmen sich kaum Zeit zu reflektieren und zu diskutieren. Kritische Öffentlichkeit hat es da schwer, einen Platz zu finden.

Maja Wicki: Vielleicht war es verhängnisvoll, dass wir monatlich erschienen sind. Neben den Tages- und Wochenzeitungen noch das MOMA zu lesen, dazu war vielleicht keine Zeit mehr. Wer hat noch den Luxus, sich Zeit zu schaffen? Nur schon die Auseinandersetzung mit den Aktualitäten ist sehr aufwändig. Gemessen an anderen Medien ist das gründliche Angebot von MOMA vielleicht wie ausserhalb der heutigen Zeit.

Woran ist MOMA gescheitert?

Yves Kramer: Einen Grund kenne ich aus eigener Erfahrung. Ich hatte probehalber abonniert und dann abbestellt, weil ich nichts verstanden habe. Ich war schlicht nicht anschlussfähig, obwohl ich mich schon politisch interessierte. Ich brauchte noch zwei Jahre, um das Vorwissen zu erarbeiten. Für junge Leute ist es heute schwierig, das Wissen für die "MOMA-Reife" zu erlangen.

Franz Horváth: Ein wichtiger Punkt des Scheiterns war das journalistische Niveau. Viele Artikel hätten mehr redaktionelle Bearbeitung gebraucht. Dafür fehlten uns die Ressourcen.

Yves Kramer: Die schweren Artikel sind das eine, aber es fehlen auch die sozialen Zusammenhänge, die das politische Wissen stärken. Nicht das MOMA sollte sein Niveau senken, sondern die Frage ist, wie politische Aktive zu einem solchen Niveau kommen.

Kurt Seifert: Rudi Dutschke drückte sich total unverständlich aus, nur fünf Prozent seiner ZuhörerInnen haben verstanden, was er meinte. Aber er repräsentierte Hoffnungen, Träume, Wünsche. Diese Attraktion hat die linke Politik verloren. Die Leute sind zufrieden, wenn sie ihre Arbeit einigermassen im Griff haben und dort Angriffe abwehren können. Die Notwendigkeit von Gedanken darüber hinaus stellt sich oft gar nicht. Was wir sagen hat offenbar wenig mit der gesellschaftlichen Realität zu tun, oder dann reichen unsere Überlegungen weit über diese Tagespolitik hinaus. Das Handwerkliche, dass es nicht immer so gut geschrieben war, kommt dann noch dazu. Allerdings möchte ich anfügen, dass eine Zeitschrift, die weitgehend auf Gratisarbeit beruht, durchaus lobende Hervorhebung verdient. Die Kommune, die in ganz Deutschland eine Auflage von 5000 Exemplaren hat, hat drei Festangestellte, MOMA hatte nur eine 60-Prozent-Stelle. Dass MOMA einen leichten Aufwärtstrend in der Resonanz zu verzeichnen hatte, kommt noch dazu. Wenn wir vom Scheitern sprechen, müssen wir auch das Resultat sehen, dass wir erreicht haben.

Maja Wicki: Ich verstehe das Einstellen von MOMA nicht als Scheitern. Wir haben ein eigenes Bedürfnis umgesetzt. Es war nicht nur ein Spiel, wie es in Gruppen bei der schreibenden Umsetzung von Anliegen oft der Fall ist, sondern es war eine Unterstützung des gegenseitigen Respekts. Wir haben MOMA mit einer bedeutenden politischen Aufgabe fünf Jahre herausgebracht, auch mit der Unterstützung uns zugeneigter Personen. Und fünf Jahre ist nicht wenig. Ich bedaure, dass wir eine Neukonzeption nicht fortführen können.

Worin lag denn die Relevanz unserer Zeitschrift?

Daniel Lampart: Um die Frage etwas abzuändern: Mir leuchtet nach wie vor nicht ein, dass sich zehn bis fünfzehn Leute zusammenraufen, die sich mit der Zukunft linker Politik befassen und Arbeit hineinstecken, und angefragte Institutionen dieses Potenzial nicht nutzen. Oft scheint es nur noch ums nackte Überleben zu gehen. Hier wurde eine Chance nicht wahrgenommen.

Der Diskussionsbedarf wäre demnach grösser als die Diskussionsbereitschaft. Wie kann diese Bereitschaft wieder geweckt werden, sodass ein MOMA einen Platz, es mehr finanzielle Ressourcen und Mitarbeitende hätte?

Franz Horváth: Um auf Rudi Dutschke zurückzukommen: Vielleicht hätte es zuerst scharf betonte Stellungnahmen gebraucht, die Diskussionen ausgelöst hätten. Provokation wirkt manchmal anregend. Aber auch das braucht Ressourcen, über die wir nicht verfügten.

Roland Brunner: Ich war und bin immer noch der Ansicht, dass Dinge gesagt, Probleme benannt und Lösungen in der Auseinandersetzung erarbeitet werden müssen. Nur so kann die Wahrheit ihren Weg finden. Aber die Schlacht der Worte allein genügt nicht. Nötig ist auch eine Aufklärung durch die Tat. Menschen müssen sich selbst als Handelnde und Bewegende erfahren können. Sie müssen in Kampagnen und Aktionen das Gefühl bekommen, dass sie etwas verändern können. Die grosse Gewerkschaftsdemo in Bern war ein solcher Moment. Solche Aktionen sind zentral, können aber das Denken und Schreiben nicht ersetzen. Zur Zeit scheint die Linke allerdings auf der Handlungs- wie der Reflexionsseite ziemlich flügellahm.

Daniel Lampart: Sicher ist Handlung wichtig. Aber gerade im Zusammenhang mit dieser Demo stelle ich fest, dass nur hingeworfene Konzepte vorliegen, beispielsweise in der Frage des Service public. Die jetzigen Entwicklungen waren schon vor fünf Jahren absehbar. Aber die Zeichen wurden nicht wahrgenommen. Dadurch kommt es zu Katastrophen wie gegenwärtig bei der Swisscom. Hier fehlt es an Fachleuten, die freigestellt werden, um sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen oder an Leuten wie uns (Gelächter), die solche Fragen aus der notwendigen Distanz vorbereiten würden.

Es braucht also eine klare Handlungsorientierung, die wir im MOMA selten hatten. Wir debattierten nicht aus Selbstzweck, aber es fehlte oft der direkte, konkrete Bezug auf Entscheidungen.

Kurt Seifert: Teils – teils. Ich denke an unsere Diskussion im Hinblick auf die Wahlen 1999 mit Ursula Koch, Cécile Bühlmann und Franziska Teuscher. Wir versuchten auch anderweitig in die SP-Diskussion einzugreifen, beim Bodenmann-Papier beispielsweise, aber in der SP fand diese Diskussion gar nicht statt. Es gab dazu offensichtlich kein Bedürfnis.

Die SP-Leute sitzen in den Kommissionen, und sie wollen dort auch bleiben. Die intellektuelle Beweglichkeit, sich auch noch anderes vorzustellen als die aktuelle Politik, geht dort oft ab, und in diesem Sinne waren wir wohl irrelevant. Dabei gäbe es durchaus Anknüpfungspunkte, zum Beispiel über die Zukunft der Altersvorsorge. Wahrscheinlich wären die Parteien wie Grüne usw. froh über Gruppen wie uns, aber die Relevanz unserer Beiträge haben sie wohl nicht wahrnehmen können.

Franz Horváth: Die Beispiele spiegeln den desolaten Zustand des links-grünen Lagers. Die fehlende Anschlussfähigkeit von MOMA hängt auch damit zusammen, dass die Organisationen nur noch ihre eigenen Krisen verwalten. Zum Service public haben wir beispielsweise bereits in der Bresche Artikel publiziert. Leute, die heute wichtige Positionen inne haben, haben das damals mitverantwortet oder zur Kenntnis genommen. Die gleichen Leute werden heute vom Alltag aufgefressen. Es bräuchte wieder einmal eine heftige Infragestellung und das Aufzeigen von Alternativen.

Daniel Lampart: Wir müssen unterscheiden zwischen den grossen Politikentwürfen, und denjenigen Entwicklungen, die sicher auf uns zukommen, beispielsweise die grosse Steuerdiskussion im Jahr 2006, wie's in der Verfassung steht. Eine Mischung aus Vorbereitung von Diskussionen und langfristiger Themensetzung ist aber unter Einbezug der Tagesaktualität möglich. Hier bräuchte es aber bessere Zusammenarbeit der einzelnen Institutionen und eine frühere Initiierung.

Yves Kramer: Mangelnde Anschlussfähigkeit an die Realpolitik kann man bei MOMA sicher feststellen. Aber die Momente radikalen Andersdenkens sind zu kurz gekommen. Deshalb war MOMA in diesem Loch zwischen Realpolitik und visionärem Denken; und diese Kluft treffe ich auch in der aktuellen Politik. Wollen wir zu einer emanzipatorischen Gesellschaft kommen, dürfen wir nicht auf Parteien und staatstragende Kräfte schielen. Die gesellschaftsverändernden Kräfte finden sich an anderen Orten. Aber auch ihr Ausgangspunkt muss die aktuelle politische Situation sein.

Roland Brunner: Yves Kramer hat ein altes Dilemma auf den Punkt gebracht: Der Schwachpunkt eines Magazins für Denkende und Handelnde liegt im Wörtchen "und".

Ich hätte in 20 Jahren gerne eine visionäre Linke, die im Tagesgeschäft kompetent ist und die mit geradem Rücken dasteht und weiss, wo sie hin will. Bis es soweit ist, braucht es noch viel vernetztes Denken, das nicht auf Parteizugehörigkeiten und Organisationsgärtchen achtet – gelegentlich sind schon unsere Redaktionsgespräche an solchen Nichtigkeiten gescheitert. Die Verknüpfung von Handeln und Denken ist vielleicht für ein Magazin zuviel. Wir können und müssen damit aber bei uns selbst anfangen.

Kurt Seifert: Auch ich möchte abschliessend meine Wünsche äussern. Die Schweiz 2020 – da werde ich 71 sein, falls ich dann noch lebe. Welche Erwartungen habe ich für die Zukunft, für meine, für unsere? Die schleichende und manchmal auch sehr sprunghafte Entwicklung der Klimaveränderungen, überhaupt der ökologischen Krise, beunruhigt mich am meisten. Wir scheinen hier in einem Verblendungszusammenhang zu leben, der immer undurchdringlicher wird. Rudolf Bahro meinte mal, wir würden mit offenen Augen schlafen. Es gibt ein afrikanisches Sprichwort, das lautet: Menschen, die sich schlafend stellen, kann man nicht wecken. Aufklärung kommt hier an Grenzen. Was tun? Ich weiss es nicht. Die Hände in den Schoss zu legen, liegt mir nicht. Doch manchmal bekommt das Ganze für mich einen ziemlich deprimierenden Ausdruck. Wie können wir – um mit Ernst Bloch zu sprechen – wieder ins Gelingen verliebt sein, und nicht ins Scheitern – diese speziell linke Krankheit? Es stellt sich hier immer wieder die angedeutete Frage von Selbstveränderung und Veränderung der Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass es in 20 Jahren mehr Menschen gibt, die sich selbst und damit die Gesellschaft verändern wollen. Grundsätzliche Fragen ausserhalb des Mainstreams können immer noch aufschrecken und es braucht sie dringend. Denn linke Politik wird immer schwieriger werden, denken wir an die Grenzen des Wachstums. Dort stellen sich grundlegende Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Autonomie des Denkens, Souveränität des Handelns – das sind zwei grundlegende Wünsche. Das Ende von MOMA bedauere ich sehr. Mein Eindruck ist, dass gegen das Ende hin die öffentliche Resonanz – soweit man davon reden kann – zunehmend positiver wurde. In der Linken ist Alltagspolitik vorherrschendes Thema, Grundsatzfragen beispielsweise in der Altersvorsorge werden ausgeklammert mit der Begründung, dazu fehle die Zeit. Mit dem Abschied von MOMA geht auch ein Podium für solche Grundsatzfragen verloren. Dann denke ich: Vielleicht hätten wir mit etwas mehr Durchhaltevermögen den "Turnaround" doch noch geschafft. Und auf der anderen Seite weiss ich inzwischen, dass sich im Leben nichts erzwingen lässt. Wenn das Bedürfnis nach einem Organ wie dem MOMA vorhanden ist, wird so etwas auch wieder entstehen können – davon bin ich überzeugt. l

Anmerkungen:

1) Revolutionäre Marxistische Liga. -->zurück

2) Seit 1971 Parteiorgan der RML bzw. später der SAP; bis 1994 als nicht mehr parteigebundenes, "sozialistisches Magazin" weiter erschienen. -->zurück

3) Vgl. den Artikel von Kurt Seifert in dieser Nummer. -->zurück

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