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Redaktionsgespräch 11.2000

Humanitärer Militarismus?
Ein Redaktionsgespräch über Armeen an der Friedensfront

Kriege heissen heute "humanitäre Interventionen" und Armeen werden zu "Friedenstruppen". MOMA unterhielt sich mit Renate Schoch, Geert van Dok und Günther Baechler über heutige Krisen und Kriege und über die Auseinandersetzung um zivile oder militärische Konfliktbearbeitung.

MOMA: Früher kontrollierten die beiden Supermächte im Gleichgewicht des Schreckens ihre Vasallen und deren Kriege. Heute scheint dazu das strategische Interesse zu fehlen. Ist die Welt mit dem Ende der Blockkonfrontation aus den Fugen geraten? Was sind heute wesentliche Ursachen von Konflikten im Unterschied zu früher?

Günther Baechler: Wesentliche Veränderungen der Konfliktdynamik entstanden mit den Prozessen der Staatenbildung. Dabei wurden auch Ethnien in einem Staat zusammengepfercht, die vorher nicht in einer pluralistischen Gesellschaft lebten. Diese Ethnien wollen auch heute nicht unbedingt zusammen leben.

Zudem ist eine Ökonomisierung der Kriegsführung feststellbar. Immer mehr prägen innerstaatliche Auseinandersetzungen das Bild des Krieges. Die Globalisierung verschärft den Kampf um den Zugriff auf Ressourcen. Es geht hier also um den Erhalt von Einflusssphären im ökonomischen Sinn, teilweise auch um Korruption, Kriminalität und Kriegsverbrechen. Die Krisen in Kongo und Sierra Leone können heute nur vor dem Hintergrund der Globalisierung verstanden werden.

Geert van Dok: In der Regel sind dies aber nicht neue Konflikte. Die Ursachen und Konstellationen sind oft schon sehr alt. Der Zusammenbruch des bipolaren Weltsystems oder autoritärer Systeme hat nun dazu geführt, dass diese Konflikte heute eher als Kriege ausgetragen werden. Zum ökonomischen Aspekt gehört auch das Geschäft mit dem Krieg. Gewichtige Akteure haben ein wirtschaftliches Interesse an der gewaltsamen Austragung von Konflikten.

Renate Schoch: Heutige Kriege sind oft die Folge gescheiterter Entwicklungsmodelle. Je länger ein Krieg dauert, desto stärker konsolidieren sich die Kriegsallianzen. Weiter ist die Verbreitung von Waffen, insbesondere Kleinwaffen, Ursache vieler kleinräumiger, sich schnell gewalttätig zuspitzender Konflikte, die schliesslich zu langfristigen Traumatisierungen führen.

Baechler: Im Dreieck Uganda, Kenia und Äthiopien besteht das Problem der Kleinwaffen seit 1974, als die Truppen Mengistus abzogen und ihre Waffen zurückliessen. Die Leute in diesem Dreieck haben nun Zugriff auf diese Waffen. Dazu kommen die Waffen der somalischen Warlords oder eingeschleuste Waffen für den Krieg gegen Äthiopien. Das Problem ist schon lange bekannt, wird aber international in seiner ganze Schärfe erst seit kurzem wahrgenommen.

Van Dok: Der Begriff des vergessenen Krieges wurde zu Recht eingeführt für solche Kriege, die von den Medien nicht zur Kenntnis genommen werden.

Wer begrenzt heute die Entwicklung eines Krieges? Bipolare Grossmachtinteressen gibt es nicht mehr und das Völkerrecht scheint wenig zu greifen.

Schoch: Es fehlen weltweit die Mittel, vor allem aber der politische Wille, in Konflikten rechtzeitig krisenvorbeugend zu handeln. Für Rüstung und Kriegsführung wird weltweit um ein Vielfaches mehr ausgegeben als für eine zivile, politische Bearbeitung von Konflikten.

Baechler: Seit Gründung der Uno 1945 war das Völkerrecht erfolgreich, wenn wir die zwischenstaatlichen Konflikte betrachten. Völkerrechtliche Normen werden beachtet und können durchgesetzt werden. Auch für innerstaatliche Konflikte ist das Völkerrecht weit gediehen. Es bestehen klare Rechte und Pflichten für das Verhalten von Regierungen gegenüber ihrer Bevölkerung. Damit lassen sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegesverbrechen, Menschenrechtsverletzungen usw. ahnden. Wer aber ist legitimiert, diese Normen durchzusetzen? Im Kosov@ hat sich die Nato selber legitimiert. Aus einer vielleicht als Polizeieinsatz verstandenen Aktion ist ein massiver Kriegseinsatz geworden. Diese Art des Eingriffs in innerstaatliche Konflikte ist heikel, denn sie entzieht sich der konstruktiven Konfliktbearbeitung.

Konflikte wie in Sierra Leone, Liberia, Kongo, Zimbabwe sind neue Formen globalisierter Bürgerkriege. Hier wird es für die Uno sehr schwer einzugreifen. Das öffnet die Türe für militärische Interessendurchsetzung einzelner Staaten. Das ist bedenklich.

Es lässt sich eine Militarisierung des Konfliktmanagments feststellen: Das Militär wird zur allein zuständigen Instanz für Krieg und Frieden erhoben. Wie kommt es dazu?

Van Dok: Mit ziviler Konfliktbearbeitung allein wird sich nicht jeder Konflikt lösen lassen. Häufig braucht es auch ein militärisches Element. Aber der Fokus ist heute zu stark auf das Militär ausgerichtet. Militärische Aktionen sind schneller und spektakulärer, medial besser zu inszenieren. Zudem verfügt das Militär mittlerweile über gute PR-Strategen. Langfristige Ansätze der zivilen Friedensförderung hingegen scheinen zu wenig attraktiv für die mediale Präsentation.

Baechler: Es kommt seit Mitte der 90er-Jahre zu einer zunehmenden Verschränkung von Nothilfemassnahmen, humanitärer Hilfe und militärischen Einsätzen auf niederschwelligem Niveau. Der Sicherheitsrat der Uno hat seit den teuren und teilweise gescheiterten Peace Keeping- und Peace Enforcment-Einsätzen in Somalia, Kambodscha und Bosnien-Herzegowina keine grossen, politisch motivierten Friedenseinsätze mehr beschlossen. Das führte zu einer Entpolitisierung der Friedenspolitik und weg von präventiven Massnahmen hin zu einer Politik, die erst im Moment der Katastrophe die humanitäre Hilfe losschickt. Um dort keine eigenen Opfer zu haben, sichert man diese Hilfe militärisch ab.

Schoch: Dieses Prozess ist bedeutsam für die Krisengebiete, aber auch für Länder wie die Schweiz. Die Militarisierung der Konfliktbearbeitung und die Vermischung von humanitärer Hilfe und militärischer Intervention führt zu einem eigentlichen Umkrempeln des Bewusstseins: Das Militär erscheint als Institution, die Frieden schafft. Früher wurden Armeen allenfalls mit Verteidigung, Kriegsverhinderung oder Stabilisierung verknüpft. Heute können keine StimmbürgerInnen in Westeuropa mit solchen Argumenten davon überzeugt werden, massiv Steuergelder für die Armee auszugeben. Militärs werden gezwungen, neue Aufgaben für ihre Apparate zu suchen. Internationales Krisenmanagement nationalstaatlicher Armeen führt jedoch zur Durchsetzung nationalstaatlicher Militärpolitik statt zu Interessenausgleich und stabilem Frieden.

In der Schweizer Berichterstattung über den Kosov@-Krieg entsteht der Eindruck, das VBS sei federführend für Aussenpolitik und humanitäre Hilfe. Hilfswerke erscheinen als Juniorpartner der Schweizer Armee vor Ort. Was soll und kann das Militär tatsächlich tun?

Van Dok: Das Militär hat im Rahmen seines Auftrages zu handeln. Es soll die zivile Konfliktbearbeitung durch schützende Absicherung ermöglichen, sich aber nicht aktiv an humanitären Hilfsmassnahmen beteiligen. Sein Grundauftrag lautet eben nicht, Flüchtlingslager aufzubauen oder zu führen oder Häuser zu bauen. Dazu gibt es auch keinen Bedarf. Internationale Organisationen, DEZA, Hilfswerke, NGOs usw. haben dazu einen Auftrag, die Ressourcen und die Erfahrung.

Baechler: Das Schweizer Militär sucht mit solchen Einsätzen Legitimität an der Heimatfront. Der Vorsteher des VBS ist besonders geschickt im Spielen dieser Karte. In der Schweiz ist die Aussenpolitik historisch und strukturell bedingt besonders schwach, so dass das VBS Aufgaben übernehmen kann, die in anderen Ländern dem Aussenministerium zufallen. Deutschland hat klar gemacht, dass der Stabilitätspakt für den Balkan ein ziviles Aufbauprojekt ist. Die Schweiz ist im Kosov@ militärisch nicht sehr stark engagiert. Das Militär hat es aber geschafft, in den Medien seine Präsenz in den Vordergrund zu stellen. Es ist viel wichtiger, die gesamte Bandbreite der Schweizer Hilfe im Kosov@ zu zeigen, statt immer die paar Swisscoys zu porträtieren.

Van Dok: Die Schwäche der Schweizer Aussenpolitik ermöglicht es dem VBS tatsächlich, in die Lücke zu springen. Die schweizerische Aussenpolitik verfolgt fünf Ziele, darunter die Friedens-, Menschenrechts- und Demokratieförderung oder der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Eine kohärente und schlagkräftige Umsetzung dieser Politik aber findet medial kaum statt, wird nicht nach aussen kommuniziert. Das spiegelt sich in der jahrelangen Scheu, die Frage des Uno-Beitritts offensiv anzugehen. Bundesrat Ogi hingegen schliesst sich mit der Armee allen möglichen und unmöglichen Allianzen an. Er macht Aussenpolitik und so wird jede Kritik am VBS auch zu einer Kritik an der Schweizer Aussenpolitik. Die Diskrepanz im Selbstbewusstsein und in den Strategien von VBS und EDA ist eklatant.

Schoch: Bei den Einsätzen der Schweizer Armee im Ausland geht es nicht um solidarische Aussenpolitik, um die Mitarbeit auf der "Baustelle des Friedens", sondern um die innenpolitische Legitimation der Armee. Das revidierte Militärgesetz bindet bewaffnete Auslandeinsätze der Schweizer Armee zwar jetzt an ein Uno-Mandat, aber die Schweiz ist selber nicht in der Uno. Das bestätigt wiederum die Schwäche der Schweizer Aussenpolitik.

Die GSoA bezeichnet dieses Militärgesetz als Blankocheck für bewaffnete Auslandeinsätze und bekämpft es mit einem Referendum. Zieht sich die GSoA zusammen mit der Auns ins nationalistische Reduit zurück?

Schoch: Im Gegenteil. Gerade weil wir an einer aktiven Friedensfördernden Aussenpolitik der Schweiz interessiert sind, engagieren wir uns gegen das Militärgesetz. Wir haben für die Uno-Beitritts-Initiative Unterschriften gesammelt. Aber die Beteiligung der Schweizer Armee an Kriegseinsätzen (auch mit Uno-Mandat) finden wir friedenspolitisch äusserst fragwürdig. Was nützen beispielsweise die fortgesetzten Bombardierungen des Irak durch die USA (mit Uno-Mandat) der irakischen Bevölkerung?

Baechler: Die Taten des Militärs im Ausland werden auch angetrieben durch die Suche nach Legitimation vor Ort, nicht nur zu Hause. So werden in Ergänzung zum Sicherheitsauftrag einzelne Aufbauprojekte lanciert, um sich eine Aufgabe zu verschaffen und um das Wohlwollen der Bevölkerung zu erringen. Das führt zu einer Projektitis, unter der u.a. die Deza und die Hilfswerke leiden. Das Problem ist, dass solche Projekte die Versöhnungsarbeit und langfristige Konfliktbearbeitung verdrängen können zu Gunsten des bloss technischen Wiederaufbaus. Hier braucht es professionelle Ansätze, die in der Kompetenz des EDA liegen würden.

Als Ziel multinationaler Militärverbände bei der Intervention in innerstaatliche Konflikte wird heute der Kampf für Menschenrechte und gegen humanitäre Katastrophen präsentiert. Wird die Welt dank dem Militär gerechter?

Schoch: Eingriffe multinationaler Verbände sind die grosse und willkürliche Ausnahme. Der Krieg im Kosov@ hat im Bewusstsein der Leute viel mehr verändert als an der Realität der militärischen Interventionen. Die weitaus meisten Konflikte und Krisen geschehen immer noch ausserhalb des Blickfelds westlicher Militärpolitik.

Lassen wir die vergessenen Kriege beiseite, werden Interventionen heute aber durch einen Rekurs auf humanitäres Handeln legitimiert.

Baechler: In letzter Zeit ist hier eine Gegenbewegung feststellbar. Im Kosov@-Konflikt hat das US-Aussenministerium den Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenrechte hervorgehoben. Nur wenige Wochen später war davon in Osttimor nicht mehr die Rede. Das zeigt, dass solche Aktion weitgehend interessengeleitet sind und es weltweit noch keine völkerrechtliche Berechenbarkeit gibt. Wünschenswert wäre ein System, in dem das Völkerrecht verstärkt als Individualrecht ausgestaltet wäre und die völkerrechtlichen Sicherungsmechanismen mit polizeilichen Ordnungsmassnahmen übereinstimmen. Bei Bedrohung durch Menschenrechtsverletzungen sollte der/die Einzelne also die Sicherheit haben, dass es – auch vor der eigenen Regierung – Schutz gibt.

Van Dok: Der Begriff Weltpolizei klingt heute noch immer wie eine Bedrohung. Aber: Im ökonomischen Bereich bewegen wir uns in Richtung Globalisierung. Mit multilateralen Organisationen wie Uno oder WTO werden globale politische Ordnungsstrukturen geschaffen. So gesehen sind polizeiliche Weltordnungsversuche beispielsweise zur Gewährleistung der Menschenrechte sicher zu begrüssen. Die Frage ist, wie eine Weltpolizei sich legitimiert und wer sie beaufsichtigt. Der Sicherheitsrat der Uno, der teilweise noch immer im bipolaren Schema funktioniert, kann diese Aufgabe kaum wahrnehmen. Aber wer sonst?

Schoch: Die Tendenz, die Mandatierung durch die Uno zu umgehen, ist gefährlich. Auch die Schweiz bewegt sich in diesem Fahrwasser der Nato. Eine Art "Weltpolizei" wäre für die Durchsetzung völkerrechtlich verbindlicher Regeln eine Möglichkeit, mehr Gerechtigkeit auf der Welt zu gewährleisten. Die Revision des Militärgesetzes in der Schweiz geht aber genau in die gegenläufige Richtung. Das Militärgesetz ist zwar für die Welt als ganzes bedeutungslos, aber es stellt die Schweiz an einen Scheideweg: Wollen wir Richtung militärischer Interessen- und Machtpolitik gehen oder in Richtung von partizipativen Institutionen, in denen gemeinsam verinbarte Regeln dann auch legitim durchgesetzt werden können. In westeuropäischen Rechtsstaaten ist entscheidend, dass Gewalt legitimiert sein muss. Nicht legitimierte Gewalt wird als Unrecht empfunden. In der GSoA ist eine Mehrheit der Meinung, dass die Schweiz sich an Aktionen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten auch mit polizeilichen Massnahmen beteiligen soll, dass wir aber keine militärische Machtpolitik mit Schweizer Beteiligung wollen.

Der Begriff der humanitären Intervention ist für die Legitimierung der Nato-Selbstmandatierung und den Aufbau neuer Eingreiftruppen zentral. Wie seht ihr diese Entwicklung zum militärischen Kampf für Menschenrechte?

Baechler: Aus Schweizer Sicht wäre eine aktive Friedensförderungspolitik wünschenswert, nachdem die traditionellen guten Dienste der Schweiz kaum noch in Anspruch genommen werden. Konfliktbearbeitung und Friedensförderung wären hier zur Frage gestanden. Subsidiär gab es auch die Möglichkeit, mit Blauhelmen und Peacekeeping-Truppen solche Aktivitäten international abzusichern. Norwegen und andere Länder haben die Prioritäten so gesetzt. Die Schweiz hinkt hinterher und scheint in die umgekehrte Richtung zu gehen: Das Militär hat ein Übergewicht, die Friedensförderung ist noch wenig strategisch ausgerichtet; ein Bericht des Bundesrates steht noch aus. Das Militär ist der Politik einen Schritt voraus. Das führt zur scheinbaren Militarisierung der Friedenspolitik in Krisengebieten. Scheinbar, weil die Militäraktionen nicht wirklich Friedenspolitik sind, sondern oft Massnahmen der Nachkrisenstabilisierung. Im Namen der Menschenrechte kann das ein Tummelfeld aller möglichen Akteure sein. Aber unser Fokus sollte eher bei der Krisenprävention oder konstruktiven Interventionen im Sinne der zivilen Konfliktbearbeitung liegen. Das Thema müsste neu besetzt werden; die Definitionsmacht wurde aus der Hand gegeben. Humanitäre Interventionen sind ja eigentlich bereits ein Eingeständnis in das Scheitern anderer Bemühungen.

Schoch: Das Militär funktioniert nach dem Faustrecht, auf die Differenziertheit anderer Konfliktlösungsmodelle kann es verzichten. Über das Militär zu sprechen hat zudem in unserer Gesellschaft einen höheren Diskurswert als über komplexe Friedensarbeit oder Mediation zu sprechen.

Van Dok: Parlament und Militär kümmern sich tatsächlich wenig um semantische Feinheiten. Friedensförderung und -konsolidierung – es wird nicht einmal die Frage gestellt, ob es da Unterschiede gibt. Das Militär profitiert davon, dass Sicherheitspolitik zum politischen Tagesgeschäft geworden ist. Das ruft nach einer einfachen Sprache.

Baechler: Der frühere Deza-Chef stand im ständigen Kampf gegen das damalige EMD, weil sich dieses das Katastrophenhilfekorps einverleiben wollte. Das würde zum militärischen allroundtauglichen Katastropheneinsatz auf allen Ebenen passen. Die Deza konnte klar machen, dass das zu teuer und völkerrechtlich nicht unbedenklich wäre.

Aber die Tendenz ist da. In Deutschland beispielsweise erscheint der Zivile Friedensdienst zum Anhängsel der militärischen Kosovopolitik reduziert. In der Schweiz wird die Initiative für einen Zivilen Friedensdienst von der sicherheitspolitischen Kommission behandelt. Das Militär erhebt Anspruch auf die Führungsrolle im humanitären Bereich und in Fragen der Menschenrechte.

Baechler: Man sieht auch die Tendenz, sich nur noch für postconflict-Phasen zu interessieren. Für Prävention und zivile Konfliktbearbeitung interessieren wir uns nicht, aber wir schicken dann gerne die Katastrophenhilfe und SpezialistInnen für Minenräumungen und zur Grenzdemarkation. Eine solche Politik ist hemdsärmelig: Man bietet, was man hat. Aber zwei Parteien soweit zu bringen, Konflikte nicht zu Kriegen werden zu lassen, dazu fehlt das Interesse und die aussenpolitische Erfahrung.

Van Dok: Bis vor kurzem war Friedenspolitik innerhalb der Politik nicht einmal ein Thema. Entweder wurde das Thema als Sicherheitspolitik dem Militär überlassen oder dann der Friedensbewegung, die sich dabei aber leider zu stark im eigenen Kreis bewegt hat. Gesellschaft, Politik oder Verwaltung zeigten kaum Interesse. Aufgebrochen wurde dies erst mit dem aussenpolitischen Bericht von 1993.

Baechler: Die Verknüpfung von Friedensförderung und nachhaltiger Entwicklung kann aber ein neues Gegengewicht zum Sicherheitsdiskurs bilden. Daraus ergibt sich eine strategische Allianz zwischen Entwicklungsträgern und Friedensförderung. Die Verknüpfung ist auch naheliegend angesichts der Tatsache, dass viele Konflikte in Transitionsländern stattfinden.

Die Sonderrolle der Schweiz in der Zeit des Kalten Krieges, mit ihren Guten Diensten ziviles Profil zu zeigen, ging verloren. Wie kann sich die Schweiz wieder einbringen?

Schoch: Der Know-how-Transfer über das föderalistische System der Schweiz und über das Funktionieren der Zivilgesellschaft steht für mich klar im Vordergrund. Die Schweiz hat sehr verfeinerte Strukturen des Ausgleichs geschaffen. Auch der politische Prozess in der Schweiz ist – bei all den vielen Vorbehalten, die es gibt – sicher beispielhaft mit seinen komplexen, aber auch bewährten Strukturen auf horizontaler wie vertikaler Ebene. Das Beispiel Schweiz kann für Systeme, die sich aus autoritären oder totalitären Vergangenheiten lösen wollen, nützlich sein.

Van Dok: Das halte ich ebenfalls für eine ganz spezifische Qualität der Schweiz, die als politisches System immer noch hohes Ansehen geniesst. Eine weitere Qualität sehe ich in den weit entwickelten Partizipationsrechten. Die Distanz zwischen NGOs, Verbänden usw. zur nationalen Politik ist relativ klein, und das ist auch für europäische Verhältnisse atypisch. In der Frage der Dezentralisierung der Macht, der demokratischen Mitsprache und der good governance hat die Schweiz ein überzeugendes Modell entwickelt. Am Schluss geht es immer auch um den Aufbau von Strukturen, die Vertrauen schaffen und die Gewaltbereitschaft reduzieren können.

Baechler: Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, good governance sind strategische Ziele der Deza bis 2010. Friedensarbeit wird damit "normalisiert". Dazu sind SpezialistInnen gefragt, die wissen, wie eine lokale Verwaltung funktioniert. Die Entwicklungszusammenarbeit ist für diese Friedenspolitik besser vorbereitet als die Diplomatie, die nur auf der staatlichen, der "track one"-Ebene angesiedelt ist. Diplomatie braucht es, aber ihre Bedeutung nimmt – ausser bei Einzelfällen – ab.

Als grösste Friedensbewegung in der Schweiz versteht sich die Armee. Wo seht ihr den Platz des Militärs?

Baechler: Mich interessiert das Militär eigentlich in dieser Hinsicht nicht. Ich stelle mir die Frage, was wir zivil erreichen können. Das Militär ist in diesem Sinn ein Residualfaktor. Das Problem liegt darin, dass sich das Militär in Aufgaben einmischt, die es nichts angehen.

Van Dok: Neue Aufgaben für die Armee erfinden zu wollen, ist unsinnig. Ob es sie braucht und ob sie sich neue Aufgaben zulegen soll, sind zwei verschiedene Fragen. Letztere möchte ich dahingehend verneinen, dass sie keine zivilen Ordnungs- und Aufbauaufgaben übernehmen darf. International wie national soll die Armee die gleichen Aufgaben durchführen.

Schoch: Die Rolle des Militärs darf nicht mit der Rolle der Polizei gleichgesetzt werden. Eine funktionsfähige Polizei ist in Krisengebieten ist zur Befriedung unerlässlich. Soldaten sind aber Angehörige nationalstaatlicher Armeen und Ausdruck des internationalen Faustrechts, Ausdruck eher von Machtpolitik als von Rechtsstaat.

Baechler: Es geht um Funktion und Auftrag. In einem Krisengebiet bedeutet subsidiär, dass das Militär die Macht den lokalen Ordnungskräften abgibt, sobald diese dazu ausgebildet sind. Das kann ein Schwerpunkt der Schweiz sein, PolizistInnen in multiethnischen Kasernen auszubilden. In Südafrika z.B. haben niederländische NGOs gute Arbeit beim Aufbau von Polizeikadern geleistet.

Van Dok: Prävention ist grundsätzlich eine zivile Aufgabe, insbesondere von nichtstaatlichen Akteuren. In bestimmten Situationen aber wird das Militär benötigt, einen drohenden Gewaltausbruch zu verhindern und so die zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung abzusichern. Dies wäre – unter ziviler Gesamtverantwortung und international legitimiert – ein sinnvolle militärische Aufgabe. Das Dilemma ist nur: Early warning gibt es zur Genüge, aber der internationale politische Wille zu deren Umsetzung in eine early action fehlt allzu oft. Dramatische Beispiele waren die jahrelang ungehörten Warnungen bzgl. der Situation Kosov@, die programmierte Gewalt in Osttimor oder in Ruanda 1993/94. Alle Anzeichen standen auf Gewalt, aber gehandelt wurde erst nach ihrem Ausbruch.

Baechler: Wir konzentrieren uns zu stark auf Einsätze des Militärs; hier besteht ein Ungleichgewicht, das behoben werden sollte. Ich habe eine lange Liste von friedensfördernden Massnahmen von Schweizer NGOs. Diese Beiträge müssten – und zwar als friedenspolitischer Beitrag der Schweiz – viel stärker kommuniziert werden.

Das Gespräch leitete Roland Brunner, Abschrift und Bearbeitung besorgte Florian Wick.

Renate Schoch  ist Sekretärin der Gruppe Schweiz ohne Armee GSoA und Gemeinderätin der Alternativen Liste für die Stadt Zürich. 
Günther Baechler ist Friedens- und Konfliktforscher und Leiter der Schweizerischen Friedensstiftung/Institut für Konfliktlösung in Bern.
Geert van Dok arbeitet in der Stabsstelle Grundlagen bei Caritas Schweiz in Luzern und ist Mitverfasser des Buches "Allianzen für den Frieden". 

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