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MOMA 4.99 REDAKTIONSGESPR?H

Dornröschens Erwachen?

Zu liberalisiertem Energiemarkt, neuen Technologien und Bewegung in der hiesigen Politik

Der Energieverbrauch pro Person hat sich im Laufe der Industrialisierung vervielfacht. Im Rahmen der nachholenden Entwicklung nimmt der Energieverbrauch vieler Länder weiter massiv zu. Ein grosser Teil des Verbrauchs wird durch nicht regenerierbare Energie gedeckt. Franz Horváth befragte für MOMA Erika Loser vom WWF und den SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner zum gegenwärtigen und zukünftigen (politischen) Umgang mit Energie in der Schweiz.

Kann der Energieverbrauch gesenkt werden? Welchen Anteil haben regenerierbare Ressourcen zukünftig am Verbrauch?

Erika Loser: Dass der Energieverbrauch gesenkt werden muss, ist eigentlich klar. Um das CO2 auf einem ökologisch verträglichen Niveau zu stabilisieren, müssten wir den Verbrauch gegenüber heute um 83 Prozent senken, d.h. kurzfristig um 20 Prozent. Bei der Atomenergie müssten wir in 10 Jahren aussteigen. Andererseits haben wir bei der Nutzenergie Verluste von 60 Prozent: eine Riesenverschwendung.

Sowie ich sehe ist die Reduktion der Energie technisch kein Problem. Es gibt genügend erneuerbare Ressourcen zur Deckung eines nachhaltigen Bedarfs. Das Problem liegt auf der menschlichen und gesellschaftlichen Ebene. Es ist an uns in den reichen Ländern im Norden, den ersten Schritt zu machen, ein neues Wohlstandsmodell durchzusetzen. Daran könnte sich auch der Süden wieder orientieren. Auf der anderen Seite haben wir eine Verpflichtung, die besten Umwelttechnologien dem Süden soweit als möglich gratis zur Verfügung zu stellen. Wir müssen aber bei uns selber, hier in der Schweiz beginnen. Dazu haben wir hängige Volksbegehren, die breit abgestützt sind: die Solar- und die Energie-Umwelt-Initiative sowie die UmVerkehrinitiative. Der Verkehrsbereich ist einer der grössten Energieverschleuderer.

Rudolf Rechsteiner: Meine Vorstellung deckt sich mit deiner. In 100 Jahren sollten nur noch erneuerbare Energien verwendet werden. Anfangen müssen wir aber jetzt. Eine Reduktion des Energieverbrauchs um ein Prozent pro Jahr, das ist in der Energie-Umwelt-Initiative vorgesehen und das ist auch machbar. Es ist eine kulturelle Frage, wann wir damit anfangen. Wer zuerst anfängt, hat am meisten Vorteile. Man kann diese Technologien verkaufen. In der Schweiz scheint mir aber der Weg verbarrikadiert durch die Kernenergie, das hohe Wohlstandsniveau und die momentan tiefen Ölpreise. In der Politik gibt es drei Fraktionen: Die ersten wollen gar nichts verändern; die zweiten wollen den CO2-Ausstoss mit Atomkraft senken; und die dritten, die weder Öl noch Atom wollen, setzen auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Ich glaube, das Problem Atomenergie wird sich biologisch lösen. Diese Generation stirbt jetzt aus oder wird pensioniert. Dann bleiben nur noch zwei Fraktionen übrig.

Loser: Ich sehe auch viele positive Entwicklungen weg vom Atomstrom. Osteuropa ist aber noch völlig von der Atomenergie abhängig und auch in Schwellenländern wie Indien und China sind Sachen am Laufen, über die wir nicht mal richtig Bescheid wissen. Da könnte eine neue Gefahr heranwachsen. Die Atomtechnologie-Produzenten, die im Westen nichts mehr verkaufen können, wittern dort wieder Exportchancen.

Rechsteiner: Die Atomenergie war von Anfang an ein Kind militärischer, zentralstaatlicher Strukturen. Überall wo liberalisiert wird, stirbt die Atomenergie. Ich glaube, dass der Markt die Atomenergie selbst in Frankreich relativ rasch verdrängen wird und sich der Atomstaat im Rückzug befindet. Das Gleiche gilt für Osteuropa. Es sind ja eigentlich die Überbleibsel des Sowjetregimes, die diese Technologie aufrecht erhalten. Das erneuerbare Potenzial wurde in Osteuropa noch nicht einmal angetastet.

Für mich ist die aktuellste Alternative zur Atomenergie der Wind. Er ist das Paradebeispiel einer sogenannten Alternativenergie auf dem Vormarsch. Inzwischen wird weltweit mehr Windenergieleistung gebaut als Atomleistung. Der Staat in Russland wird seine Politik nicht weiterziehen können. Wir erleben heute den Zusammenbruch des sowjetischen Raumfahrtprogramms. Auch das Atomministerium wird zusammenbrechen. Die Windenergie ist wie alle erneuerbaren Energien eine sehr subversive Technologie, weil sie von privaten Investoren aufgestellt werden kann, dezentral funktioniert und staatlich nicht kontrollierbar ist. Ein Beispiel: In Dänemark wurde das offizielle Planungsziel für Windenergie für das Jahr 2005 schon 1998 erreicht. Realisiert wurde es von privaten Investorengruppen, zum Teil von Frauengruppen, die zehn oder zwanzig Windkraftwerke aufgestellt haben. Bei einer effektiven Energieverknappung wird sich Osteuropa auf eine anarchistische Art und Weise privatkapitalistisch umstrukturieren.

Loser: Ich würde es aber nicht auf die leichte Schulter nehmen, wenn es zu Unfällen kommt.

Rechsteiner: Das sicher nicht... Das Schlimmste sind die westlichen Entwicklungsbanken oder die schweizerische Entwicklungshilfe, die jetzt eine Überwinterungsstrategie für Osteuropa sucht. Man will die AKWs nicht schliessen, um beim nächsten Ölschock ihre Wiedergeburt zu erleben. Weil sie neue Reaktoren bauen wollen, machen sie das jetzt staatlich unterstützt in Osteuropa. Interessanterweise werden diese Programme von der Weltbank nicht finanziert, sondern es sind die Europäische Entwicklungsbank und die Schweizer Kernenergielobby, die dahinter stehen, nicht die amerikanische.

Ihr habt von einem Kulturwandel gesprochen, der nötig ist. Ich habe einen gewissen Optimismus herausgehört, dass in der Schweiz in zehn Jahren tatsächlich ein Ausstieg möglich wäre.

Erika Loser: Ja, dies entspricht auch der Strom ohne Atom-Initiative, welche eine Betriebszeitbeschränkung von dreissig Jahren festlegt. Wenn sie in der Volksabstimmung durchkommt, sind wir soweit: .

Rechsteiner: Ich glaube nicht, dass wir das auf diesem Weg schaffen. Man wird der Atomlobby eher die Subventionen verweigern. Die Initiativen sind wichtig, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Die Kernenergie-Industrie sitzt auf offenen Rechnungen von 10 bis 20 Milliarden Franken, die nicht gedeckt sind. Sie wird schon bald beim Staat um Subventionen anklopfen, und da ist es wichtig, dass wir Nein sagen können.

Braucht es für diesen kulturellen Wandel nicht mehr als Initiativen und ökonomische Anreize?

Loser: Es muss ein revolutionärer Wandel stattfinden. Die Regionen sollen sich wieder mehr selbst versorgen, die Leute müssen sich in der Nähe erholen können, Musse und Handarbeit müssen aufgewertet werden... Ansätze gibt es viele, auch im Kleingewerbe. Im Entlebuch, einer der konservativeren Gegenden der Schweiz, werden Produkte unter dem Label «regio pur» verkauft, Bäuerliche arbeiten mit dem Tourismus und mit Umweltschutzkreisen zusammen unter dem Motto "Lebensraum Projekt Entelbuch". Und dies kann wirtschaftlich

Rechsteiner: Es gibt natürlich gute Ansätze. Leider sind sie noch in der Minderheit. Sie werden überschattet von einem Preiszerfall auf den Energiemärkten, der zum Beispiel einen unglaublichen Preiszerfall im Luftverkehr ermöglicht. Kurzfristig wird der Energieverbrauch noch einmal massiv zunehmen, wenn politisch keine Massnahmen ergriffen werden. Die Macht der Opec wird nach dem Jahr 2000 wieder deutlich ansteigen, weil die Reserven in der Nordsee knapp werden, was sich auch auf die Preise auswirken wird.

Wir sind in einer Zwischenphase der Sorglosigkeit, die äusserst ungesund, aber von beschränkter Dauer ist. Die Industrieländer haben zwei Strategien. Entweder man macht eine ökologische Steuerreform und trimmt die Wirtschaft auf Effizienz. Dann kann man den nächsten Ölschock abfedern. Oder man tut nichts wie die Vereinigten Staaten. Dann wird der Kampf um das Öl möglicherweise wieder mit kriegerischen Mitteln geführt werden. Andererseits darf man die USA aber nicht unterschätzen. Es gibt dort ein enormes Potenzial an erneuerbaren Energien.

An eine Änderung des Lebensstils glaube ich nicht. Man wird Wasserstoff-Flugzeuge einsetzen usw. Um den heutigen Energiebedarf zu decken, braucht man fünf Prozent der Wüstenflächen für die Solarenergieproduktion. Die Technologien stehen bereit. Das Erschütternde ist, dass diese bekannten Technologien von einer Lobby aus Gas- und Ölverkäufern und Atomgläubigen verhindert werden. Immer wenn in Bern über Energiesparen beraten wird, besteht die Hälfte der DiskussionsteilnehmerInnen aus Energieverkäufern (Erdölvereinigung, Gasverein). Das ist, wie wenn über die Drogenpolitik diskutiert würde und die Hälfte der Personen am Tisch wären Drogendealer.

Sind positive Ansätze wie die Regionalisierung der Güterproduktion ernst zu nehmende Alternativen? Die wirtschaftliche Entwicklung läuft doch in die umgekehrte Richtung: Die Globalisierung führt zu immer längeren Transportwegen.

Rechsteiner: Steigende Energiepreise unterstützen die positiven Ansätze.

Loser: Die dezentralen Ansätze unterlaufen die Globalisierung teilweise.

Rechsteiner: Die Liberalisierung, die hinter der Globalisierung steht, wird teilweise kompensiert. Die EU hat zum Beispiel Mindestpreise für Energie auf das Jahr 2000 beschlossen. Die Handlungsschwerpunkte sind international, auch Kyoto ist ein internationaler Prozess. Positiv ist auch die Liberalisierung des Strommarktes. Dort herrscht bisher ein atomlastiges Monopol. Der Atomenergie werden damit die Quersubventionen von etwa einer Milliarde Franken pro Jahr entzogen. Das ist ein wichtiger Schritt, den wir beschleunigen müssen.

Loser: Aus meiner Perspektive sind diese EU-Massnahmen nur kleine Schritte. Eine nachhaltige Lösung ist das nicht. Die Zerstörung der Umwelt und der Atmosphäre geht weiter.

Rechsteiner: Einverstanden. Aber wir Linken müssen davon wegkommen, dass grüne Politik privaten Verzicht bedeuten muss. Erstens können nicht alle vom Verzicht überzeugt werden. Zweitens braucht es für einen Durchbruch der Alternativenergie relativ bescheidene Massnahmen. In Deutschland ist die Windenergie technologisch so weit, dass sie billiger ist als Kernenergie und in den nächsten 40 Jahren einen grösseren Ausbau erleben wird als die Wasserkraft. Energiesysteme verändert man nicht in einer Periode von 5 Jahren. Der Wechsel von Kohle zu Öl hat 50 Jahre gedauert. Die Wachstumsraten für Photovoltaik und Wind liegen teilweise über 25 Prozent. Das sind sehr dynamische Prozesse, deren Volumen noch sehr klein ist, die aber in 5 Jahren die Energielandschaft stark beeinflussen können.

Loser: Es geht nicht um Verzicht, sondern um ein neues Wohlstandsmodell. Eigentlich geht es um einen Gewinn an Musse und Lebensqualität. Das ist kein Gegensatz zu den technischen Neuerungen, die du angesprochen hast. Wir müssen aber auch das Lebensgefühl ansprechen.

Rechsteiner: Mir fehlt die Entschlossenheit, den Umweltverbrauch zu senken, der ökologische Strukturwandel. Das schafft Arbeitsplätze und Wohlstand.

Loser: Rationale Entscheidungen genügen nicht. Es braucht auch die gefühlsmässige Überzeugung, dass ein anderes Leben sinnvoll ist.

Rechsteiner: Ich glaube nicht, dass es ein anderes Leben ist, wenn ich Sonnenkollektoren auf dem Dach habe. Die Rahmenbedingungen zum Energiesparen sind bescheuert: Wer Energie spart, ist selber schuld. Die Anreize fehlen.

Loser: Das ist die Ebene der energiesparenden Geräte. Das ist o.k. Daneben gibt es aber zum Beispiel das Problem des Verkehrs. Es geht darum, das Lebensgefühl in den Städten zu verbessern, mit kulturellem und sozialem Wohlsein den Lebensraum Stadt zurückerobern... Das hat weniger mit Technik zu tun als mit einer andern Art zu leben.

Viele setzen ihre Hoffnungen auf den Markt, auf die Kostenwahrheit. Müsste ökologische Politik nicht vielmehr gegen die Deregulierungstendenzen verstossen und massiv regulierend eingreifen, wie das bei der Atomenergie getan wurde, um den Umbau zu beschleunigen?

Loser: Regelungen gibt es immer, wenn nicht formelle, dann halt informelle. Es braucht gesellschaftliche Rahmenbedingungen, um nichterneuerbare Energien zu belasten und alternative Energien zu fördern. Die Linke scheint mir heute zuviel Hoffnungen in den Markt zu setzen.

Rechsteiner: Regulierung ist das Einzige, was noch funktioniert. Sonst müsste man beispielsweise heute keine Häuser mehr isolieren. Die Ölpreise zwingen sicher niemanden dazu, Häuser zu isolieren. Der Regulierungsstand ist relativ hoch. Ich glaube nicht, dass mehr Regulierung die Lösung bringt. Der Bedarf lässt sich dadurch nicht lenken. Man kann die Leute nicht zwingen, einen Smart statt eines Jeeps zu kaufen. Bürokratie kann sich nicht gegen Trends durchsetzen. Zweitens verleiten Regulierungen zu Fehlinvestitionen, die nicht kosteneffizient sind. Das Paradebeispiel dafür sind die Atomkraftwerke. Ökonomisch spricht alles für die Internationalisierung der Schäden in die Kosten und für die selbständige Anpassung der Konsumentinnnen und Konsumenten, weil sie auch am besten wissen, wo es ihnen am wenigsten weh macht und weil sie Energien kaufen, die technologisch nachhaltig sind. Die ökologische Steuerreform hat sich als Konzept noch nicht durchgesetzt. Wir müssen sie weiter treiben, bevor wir wieder über Regulierungen nachdenken.

Loser: Minimalstandards, die nicht unterlaufen werden dürfen, müssen staatlich festgelegt werden. Ergänzend sollte die Bevorzugung regionaler Produkte beschlossen werden. Bei der Landwirtschaft oder beim Wald haben wir auch solche Regulierungen.

Rechsteiner: Ich bin auch für eine Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe. Die Globalisierung ist teilweise eine Folge der billigen Energie. Hohe Transportpreise werden vielleicht wieder zur Verdichtung der Kreisläufe führen. Ermutigend war für mich das Ja der Bevölkerung zur leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir diesen Erfolg wiederholen können, weil da auch der Vorort und der Druck der bilateralen Verträge mitgespielt hat.

Besteht bei den herrschenden Mehrheitsverhältnissen im Parlament nicht die Gefahr, dass es bezüglich Lenkungsabgaben und ökologischer Steuerreform zu einem verwaschenen Kompromiss kommt, der uns den Zielen der Umweltorganisationen nicht näher bringt?

Rechsteiner: Ich habe nichts gegen Kompromisse. Wir werden unsere Initiativen aufrecht erhalten. Jeder Kompromiss ist ein Entgegenkommen an die Initiativen, besonders wenn der Kompromisss bei einer Benzinpreiserhöhung von 0,4 Rappen pro Liter liegt und wir wollten 0,5 Rappen. Da kann man nicht mehr viel wollen. Die Konstellation hat sich seit der Lancierung der Initiative verändert. Den Bergkantonen steht mit der Liberalisierung das Wasser bis zum Hals. Es entsteht eine neue Allianz: Die Atömler und die Gebirgskantone sind zum ersten Mal auseinander dividiert worden. Die Bergler sehen, dass sie die Atomkraft finanziert haben. Jetzt fordern sie Geld für sich oder zumindest keine weitere Gefährdung der Wasserkraft durch schmutzige Konkurrenz aus dem Ausland oder durch Schweizer AKW.

Die Solarinitiative hat nicht-erneuerbare Energien als Steuersubstrat definiert. Das war der entscheidende Durchbruch und der Unterschied zur CO2-Abgabe, die ein trojanisches Pferd ist, weil sie die Kernenergie wieder wirtschaftlich machen will. Die Wärme-Kraft-Koppelung im Inland würde dann besteuert und die Kernenergie und Stromimporte nicht. Für mich ist unverständlich, dass Organisationen wie der WWF dieses Gesetz akzeptiert haben. Abgesehen davon sind die Umwelt-Organisationen in Sachen Energie gar nicht mehr präsent. Sie haben das Kämpfen ein bisschen verlernt. Sonst hätten wir die Abstimmung über das neue Raumplanungsgesetz nicht verloren. Das war eine miserable Kampagne. Es wurde nicht mobilisiert. Zum Glück gibt es auch Gegenbeispiele: Im Kanton Zug wurde eine Solarinitiative gewonnen und in Basel eine ökologische Steuerreform durchgeführt. An beiden Orten war aber der WWF nicht die treibende Kraft.

Loser: In Zug war er dabei und eingebunden. Unsere Kapazitäten sind aber sicher zu klein. Wir sehen als grosse Gefahr, dass der parlamentarische Kompromiss relativ zahnlos sein wird. Bei den von Ruedi erwähnten positiven Punkten bin ich einverstanden. Es ist positiv, dass Lenkungsabgaben in den letzten zehn Jahren wenigstens salonfähig geworden sind.

Rechsteiner: Die Bürgerlichen haben immer davon geredet – und dann alles verhindert. Jetzt scheinen sie teilweise einzuschwenken. Neue Spaltungen, das internationale Umfeld und der Druck der Initiativen haben diesen Sinneswandel verursacht.

Warum zahnloser Kompromiss?

Loser: Die Verfassungsnorm hat keinen Lenkungscharakter.

Rechsteiner: Doch, selbstverständlich. Eine Verfassungsbestimmung ist aber noch keine konkrete Abgabe. Man kann in der Schweiz unmöglich zwei Abgaben gleichzeitig vors Volk bringen.

Loser: Durch ein gutes Gesetz könnte dann etwas machbar sein, aber das ist überhaupt nicht garantiert.

Rechsteiner: Das ist aber die erste Hürde, die wir nehmen müssen, sonst kommt die CO2-Abgabe und damit die Es ist eine klare Strategie des Vororts, die Atomenergie wieder salonfähig zu machen. Das wird von den Umweltkreisen völlig unterschätzt. Dieses Gesetz ist eigentlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann, v.a. wenn dann noch der Energieabgabe-Beschluss EAB dazukommt, mit dem man die Gebirgskantone finanziell für ihre Verluste abspeisen kann. CO2-Gesetz und Energieabgabe – das wäre der schlimmste Fall.

Loser: Da bin ich nicht einverstanden. Der EAB ist eine gute Sache, mindestens so wie ihn der Nationalrat will. Die 0,2 Rappen Benzinpreisaufschlag, die der Ständerat vorgeschlagen hat, sind als Lenkungs- instrument aber zu wenig. Die CO2-Abgabe ist faktisch vernachlässigbar.

Rechsteiner: Der Lenkungscharakter ist auch bei 0,6 Rappen minim. Diese Abgabe lebt von den Ausgaben, der Investitionsseite, nicht vom Preishebel. Die ökologische Steuerreform dagegen lebt vom Preishebel, und dafür bekommen wir eine Verfassungsgrundlage. Nachher ist es natürlich eine Machtfrage, welche Form von Abgabe wir durchsetzen können. Ich bin optimistisch, dass wir eine gemischte Abgabe bekommen, welche die Kernenergie nicht schont. Wir haben heute in dieser Auseinandersetzung die Gebirgskantone auf unserer Seite. Diese Allianz gilt es jetzt schlagkräftig zu machen, damit sie sich durchsetzen kann.

Loser: Einverstanden, aber nicht zum Preis, dass die letzten Gewässer verbaut werden.

Rechsteiner: Es gibt keine Subventionen für neue Werke, sondern nur für die Erhaltung und die Erneuerung, im EAB und im Ständeratsmodell.

In der ganzen Diskussion geht es um sehr technische, komplizierte Lenkungsmechanismen. Letztlich ist wichtig, diese Fragen noch einmal klar vors Volk bringt, Übersetzungsarbeit zu leisten, um diese neuen Koalitionen in Volksabstimmungen mehrheitsfähig zu machen. Ist das eine grosse Schwierigkeit?

Loser: Für den EAB ist das nicht schwer, auch weil das so viele Investitionen auslöst. Das andere ist die Verfassungsnorm. Sie ist auch gut vermittelbar, weil das Geld zurückerstattet wird. Man muss den Leuten höchstens noch zeigen, dass das kein bürokratischer Leerlauf ist.

Rechsteiner: Die Etikette ist interessant und sie heisst Innovation. Das Gewerbe hat daran Freude, weil es einfach bauen will. Die bestehenden AKW geben investitionsmässig doch überhaupt nichts mehr her. Die Leistungserhöhung, die jetzt noch durchgeführt wird, ist kein Geschäft für breite Gewerbekreise. Sonnenkollektoren dagegen haben ein fantastisch gutes Image. Damit können wir arbeiten. Ähnlich wie beim schlechten Image der Lastwagen, welches der LSVA genützt hat, können wir eine überzeugende Etikette vermitteln. Was ich vermisse bei der Kampagnenarbeit: Das Initiativkomitee hat gute Personen gewonnen und ist gut verankert auch im Gewerbe, aber die Umweltorganisationen haben wenig über Energie geredet, weil sie sich schlecht verkaufen liess. Man hat über Tropenwald geredet und anderes. Und Erfolge gehabt, z.B. bei der Umstellung auf biologischen Landbau, aber bei der Energie herrscht momentan ein Dornröschenschlaf. Der erklärt sich meines Erachtens aus dem Preiszerfall. Die Motivation, Energie zu sparen, ist nicht mehr so virulent wie nach dem Öl-Schock. Die negativen Abgase wurden sehr erfolgreich reduziert. Das Umweltproblem ist daher heute nur noch ein CO2-Problem oder ein Ressourcenproblem, aber nicht mehr ein CO-Problem oder NOX-Problem.

Loser: Da würde ich Einspruch erheben...

Rechsteiner: Es hat mindestens eine Trendwende stattgefunden.

Loser: Aber die NOX-Werte liegen in den Ballungsräumen fast täglich über dem Grenzwert fürs Jahresmittel. Und es wird nicht einmal mehr dargestellt von den Umweltämtern... Eigentlich ist das ein illegaler Zustand, der nicht mehr deklariert wird.

Rechsteiner: Man hat sich daran sicher mehr daran gewöhnt als an die radioaktiven Abfälle, gegen die immer noch Unterschriften gesammelt werden...

Loser: Es ist halt nicht wie Radioaktivität, mit GAU-Perspektive à la Tschernobyl. NOX überdüngen einfach unsere Moore und Wälder und belasten die Böden. Das ist ein schleichender Prozess. Da ist es schwierig etwas zu machen. Das hängt zum Grossteil mit dem Energieverschwender Auto zusammen.

Rechsteiner: Es gibt in der Energiethematik drei bewegende Kräfte: 1. Die internationale CO2-Politik, 2. Die Opec-Politik, die in den nächsten Jahren wieder stark an Macht gewinnen wird. Das sieht man daran, wie stark inzwischen der Ferne Osten, Europa und USA von der Opec abhängig sind. So importiert das Ölland Texas inzwischen wieder Öl, weil die Quellen versiegen. Darüber spricht niemand. 3. Neue Unfälle in Kernkraftwerken und Geschichten über die Atommülltransporte. Das ist latent ein Krisenherd, der jederzeit wieder oben auf der Prioritätenliste stehen kann.

Loser: Was meinst du mit bewegenden Kräften?

Rechsteiner: Diese Dinge werden die Politik bestimmen, nicht das NOX-Problem.

Loser: Ich wollte mich nur gegen den Eindruck wehren, dieses Problem sei gelöst. Es ist einfach latent vorhanden, und keine Trendwende ist in Sicht.

Rechsteiner: Als Politiker sucht man ja immer nach einem Anlass, der die Wende herbeiführen kann. Für mich sind es eben diese drei.

Loser: Zur Stärke der Umweltbewegung und ihrer Stärke, in einer Volksabstimmung überzeugend auftreten zu können und zu gewinnen. Es braucht ja wahrscheinlich auch für den EAB eine Volksabstimmung. Wir müssen da auch wieder auf die Strasse gehen und Inserate machen.

Wo liegt der Haken?

Loser: Der Haken liegt vielleicht darin, dass das Parlament vielleicht eine Vorlage beschliesst, welche nur noch einen sehr geringen Lenkungseffekt hat. Die Verfassungsgrundlage ist zwar gut, weil man endlich einmal den Schuh in der Türe hätte. Aber es ist noch nichts Konkretes.

Rechsteiner: Die Ausführungsgesetzgebung ist aber auch schon unterwegs, das ist doch immerhin bemerkenswert. Zur Solarinitiative bzw. EAB kommt nicht nur etwas Halbbatziges. Für mich ist auch Erfolg, dass die konservative Kammer, der Ständerat, selbst eine Abgabe vorschlägt. Im Nationalrat war der EAB ein handgestricktes Machwerk, welches mit der Verwaltung nicht ausgereift vorbereitet wurde. Der Ständerat bringt es jetzt in neuem Gewand, allerdings auch noch mit einem Verfassungsartikel, aber ich habe dort mehr Vertrauen in eine solide Gesetzgebung, weil es nicht einfach ist, ein Energiegesetz zu machen, wenn man nur z.B. an die Veranlagung von importiertem Strom denkt. Und wenn man nur die nicht-erneuerbaren besteuern darf, was administrativ ein Problem ist. Erfreulich ist für mich auch, dass man die Blockade im Bundesrat überwunden hat. Der Bundesrat redet seit Jahren von einer ökologischen Steuerreform, hat aber jedes Projekt sabotiert. Villiger ist ein AKW-Fan wie aus den 50er- Jahren und Couchepin kommt aus dem Elektrowatt-Verwaltungsrat und der will gar nichts. Der ist ein absoluter Umweltchaot. Die beiden Freisinnigen sind katastrophal in ihrem Umweltprofil... Dass das Parlament jetzt das Heft in die Hand genommen hat und zeigt, dass man mit der ökologischen Steuerreform leben kann, ist ein grosser Schritt vorwärts. Abgesehen davon gehe ich noch davon aus, dass wir die Solarinitiative gewinnen können, wenn wir das wollen und uns anstrengen. Mit diesen beiden Initiativen und dem Rückenwind der Liberalisierung ist erstaunlich viel vorangegangen. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, wo das Thema Energie wegen der tiefen Preise gar nicht mehr auf der Traktandenliste steht. Nur noch in Europa.

Es gibt auch in der Linken Leute, die mit einem worst-case-Szenario mit CO2-Gesetz und EAB leben könnten. Man muss aber die Motivation des Vororts erkennen. Er wollte eben genau das: Die CO2-Abgabe und eine Mini-Subvention, um die Bergkantone abzuspeisen. Dann sind die saturiert und gehen uns als Allianzpartner verloren.

Loser: Aber das spricht doch nicht gegen eine ökologische Steuerreform. Der EAB à la Nationalrat verträgt sich doch mit einer ökologischen Steuerreform.

Rechsteiner: Nein, wenn das CO2-Gesetz einmal installiert ist und eine Benzinsteuer von 30 Rappen verfügt, dann habe ich grosse Zweifel, dass man hintendrein noch einen Verfassungsartikel für neue Energieabgaben nachschieben kann. Weil dann der ganze Automobilklub aufgewacht ist und man alles mithilfe des Vororts bekämpfen wird und sagen wird, dann lasst uns wenigsten die Atomenergie, um das CO2-Problem zu bekämpfen. Man hat hier die Sache strategisch zu wenig analysiert.

Loser: Ich sehe das nicht so. Das CO2-Gesetz ist doch ein Reservegesetz, welches...

Rechsteiner: Das ist nicht wahr. Der Vorort sagt dann, dass CO2-Gesetz ist unsere ökologische Steuerreform. Er senkt mit dem CO2-Gesetz die Lohnnebenkosten. Und sagt, dass es nichts anderes braucht.

Loser: Aber das CO2-Gesetz kommt ja nur dann, wenn andere Massnahmen nicht greifen. Ab 2004.

Rechsteiner: Aber man muss sich das vorstellen: Das CO2-Gesetz verteuert Gas um bis zu 5 Rappen pro Kilowattstunde und jetzt liegt der Grosshandelspreis für Strom bei etwa zwischen 3 und 8 Rappen. Man macht Gas konkurrenzunfähig und verlässt sich dann auf französischen Atomstrom. Dieses Drehbuch funktioniert... Der Vorort will nur eine CO2-Abgabe und sonst gar nicht.

Die Linke müsste sich also noch auf eine Linie einigen...

Loser: Die Umweltorganisationen gehen von den Feusol-Initiativen aus und da ist beides drin. Sie konzentrieren sich auf diese Strategie. Mit einem griffigen EAB und als Gegenvorschlag dann diese Verfassungsnorm, die noch konkretisiert werden muss.

Rechsteiner: Der EAB ist im Vergleich zum CO2-Gesetz einfach ein Zwerg. Das muss man einfach sehen.

Loser: Der EAB wäre im Prinzip sofort einführbar. Das würde direkt sehr viel auslösen, weil er mit Investitionen verbunden wäre. Arbeitsplätze... und Sanierungen auslösen...

Rechsteiner: Ich bin sehr skeptisch. Nur schon die Abstimmung zu gewinnen ist nicht einfach, mit einem Abgabensatz, der höher liegt als in der Initiative. Strategisch ist das ungeschickt.

Loser: Es wäre ja gar keine Abstimmung nötig.

Rechsteiner: Das ist naiv, weil die Erdölvereinigung das Referendum bestimmt ergreifen würde.

Anne Gurzeler: Mir fällt auf, dass immer alle Themen getrennt verhandelt werden. Zur Zeit sammeln die Gewerkschaften, überlastet mit dem Sammeln von Unterschriften, für die Arbeitszeitinitiative. Ihr seid überlastet. Und gleichzeitig sprechen wir von Lebensqualität. Warum ist jeder in seiner Ecke mit seiner Organisation und die Politik hat ihre eigene Strategie? Ich habe mit Nachwuchsgewerkschaftern die Ökologiefrage diskutiert. Da ist wenig Wissen und Verständnis da, aber es gibt auch keine Verbindung zwischen den beiden. Wie bringt man die Kräfte zusammen für diese Umstrukurierung?

Loser: Das war ein Punkt beim EAB. Der bringt allen etwas: Belastung der nicht-erneuerbaren Energie und Förderung der erneuerbaren Energie und Investitionsprogramme und damit Arbeitsplätze. Die Feusol suchte national auch den Kontakt zum Gewerbe, weniger wichtig wurden vielleicht die Gewerkschaften genommen.

Gurzeler: Gerade regional sollte doch aber mehr passieren, jetzt wo die Gewerkschaften regionalisieren. Die sind freier. Es braucht auf beiden Seiten Umdenken und Ausbruch aus traditionellen Etikettierungen.

Loser: Auch neue Arbeitszeitmodelle wären ja Ansätze zu neuen nachhaltigen Lebensmodellen. Die Gewerkschaften sind aber auch noch sehr stark mit der Verteidigung von Standesprivilegien beschäftigt und sie haben zum Teil auch Angst, neue Modelle zu probieren.

Gurzeler: Da laufen eben genau die Etikettierungen. Anstatt dass man sich zusammensetzt und miteinander redet und Verständnis sucht. Das wäre regional sehr gut möglich. Und auch in politischen Abstimmungskämpfen sehr nützlich.

Rechsteiner: Wir sollten sicher nicht polarisieren auf diesem Gebiet. Wir sollten versuchen, den Vorort in den Abstimmungskampf einzubinden. Wenn sie mitmachen, bekommen sie eine rasche Liberalisierung des Strommarktes und wir entwickeln gemeinsam die neuen Technologien. Aber dort bewegen sich immer noch zu viele Fossile, die nicht dafür eintreten und im Grunde auch die CO2-Problematik nicht als handlungsleitend akzeptieren. Möglicherweise braucht es einfach noch mehr Katastrophen, die auch den Norden treffen, nicht Nicaragua oder Honduras. Der physikalische Zusammenhang ist vielen Leuten im Establishment nicht ausreichend. Es muss vielleicht wie bei AIDS oder bei Tschernobyl sehr handfest werden, damit das Ziel der Klimapolitik akzeptiert wird.

0,6 oder 0,4, reicht das...?

Rechsteiner: Der Ständerat gibt den Takt an. Der Gegenvorschlag sollte nicht ganz bei 0,5 landen, damit er auch ein Gegenvorschlag ist. Initiativen werden zugunsten eines Gegenvorsschlages abgelehnt, wenn dieser nicht ganz soweit geht. Von dem her ist der EAB taktisch ein Unsinn, weil er weiter geht als die Initiative mit 0,5.

Loser: Wieso weiter?

Mit 0,6 Rappen statt 0,5 Rappen.

Loser: Aber er hat auch noch anderes drin.

Rechsteiner: Aber am Schluss muss man eine Abgabe verkaufen. Das ist in der direkten Demokratie schwierig. Die Bürgerlichen müssten irgendwo dazwischen liegen, um bei den eigenen Leuten glaubwürdig zu sein.

Loser: Du sagst, es ist wichtig, den Vorwort einzubeziehen. Machen dann die Gewerkschaften noch mit?

Rechsteiner: Das war bei der LSVA auch so... Nur hat der Vorort mit Leuenberger einen Präsident, der ist ökologisch gesehen kriminell oder debil. Die dümmste Figur im ganzen Establishment, dümmer als erlaubt.

 

Rudolf Rechsteiner Ökonom und SP-Nationalrat. Mit Energiefragen beschäftigt er sich seit Jahren. Er Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung, Energie (UREK), hat einen Lehrauftrag an der Universität Basel für "Umweltpolitik in Theorie und Praxis", ist im Stiftungsrat der Schweizerischen Energiestiftungund Mitinitiant der Solar- und der Energie-Umwelt-Initiative
Erika Loser Biologin mit viel "Felderfahrung", vor allem im Moorschutz und alpiner Vegetation. Sie arbeitet seit etwa 10 Jahren teilzeit als Regionalkoordinatorin für den WWF im Kanton Bern. Im WWF Schweiz betreut sie zusätzlich das Atom-Dossier, insbesondere die "Strom ohne Atom"-Initiativen. Für den Atomausstieg und die Stilllegung von Mühleberg engagiert sie sich seit 20 Jahren.
Anne Gurzeler arbeitet bei der Gewerkschaftlichen Bildungszentrale.

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