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Linke Politik vor den Wahlen: Hartnäckigkeit oder Abwarten?

MOMA-Redaktionsgespräch Februar 1999

C?ile B?lmannUrsula KochFranziska Teuscher
Engagierte Politik, nicht nur f? die Wahlen: C?ile B?lmann, Nationalr?in des Gr?en B?dnis Luzern (Gr?e Partei), SPS-Pr?identin Ursula Koch und die gr?-alternative Nationalr?in des Gr?en B?dnis Bern Franziska Teuscher (v.l.n.r.).

"Vielen gen?t das Kotelett im Teller"

Die Wahlsiege der "neuen Sozialdemokratie" haben die Mehrheiten in Europa ver?dert. Im Hinblick auf die Nationalratswahlen 1999 hat MOMA mit C?ile B?lmann, Ursula Koch und Franziska Teuscher ?er Orte und Subjekte linker Politik in der (noch) b?gerlich dominierten Schweiz gesprochen.

Bei den Nationalratswahlen stellen sich f? die Linke auch Fragen, die in den kurzfristig angelegten Wahlveranstaltungen oft verloren gehen. Welches sind f? euch die zentralen Politikfelder, die Schwerpunkte eures Wahlkampfes?

C?ile B?lmann: Es gibt f? die Gr?en nicht nur einen Schwerpunkt – auch wenn wir oft auf die ?ologie reduziert werden. Sozialpolitik ist ein starkes zweites Bein. Diese beiden Schwerpunkte versuchen wir in der ?ologischen Steuerreform zu verkn?fen. Diese haben wir nicht auf die Wahlen hin entwickelt, sie besch?tigt uns seit l?gerem und wird auch nach den Wahlen weitergef?rt. Die rot-gr?e Koalition in Deutschland verst?kt diese Idee, und Joschka Fischer erhofft sich einen markanten Fortschritt in n?hster Zukunft auf Druck aus Deutschland und auch aus Frankreich hin. Wir m?sen intelligente Wege finden, ?ologische Fragen mit sozialen zu verbinden.  

Ursula Koch: Ich m?hte nicht bei einzelnen Politikbereichen, sondern auf einer anderen Ebene ansetzen. Im Zuge der Globalisierung wird die Politik als gesellschaftsgestaltende Kraft immer mehr zur?kgedr?gt. Die PolitikerInnen bemerken das zwar, wagen es aber nicht, sich damit vertieft auseinanderzusetzen. Der Kampf auf nationalstaatlicher, europ?scher wie auch auf globaler Ebene muss sich daher haupts?hlich um die R?keroberung des Politischen drehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Bewusstseinsbildung: Die Menschen sp?en die Zur?kdr?gung des Politischen, sie resignieren und ziehen sich zur?k auf ihr ?onomisches Wohlergehen; das Kotelett im Teller gen?t dann.
Wir haben zwanzig bis dreissig Jahre neoliberaler Indoktrination hinter uns, so dass viele – auch die Linke – diesen Jargon nachplappern und dieses Wertsystem ?ernommen haben. Es braucht ein Nachdenken der Linken ?er ihr Werte- und ihr Zielsystem. Will ich heute Politik machen, muss ich mir auf vielen Ebenen viel ?erlegen, viel analysieren, viele Strategien ausdenken und wieder Visionen und Utopien entwickeln, bevor ich mich einzelnen Politikfeldern widme, die vorwiegend technische Fragen des Know-how, des Managments sind. Diesen Fragen sollten wir uns auch stellen. 

C?ile B?lmann: Das sind die auch mir so wichtigen Themen, die leider f? ein Wahljahr nicht verwertbar sind, denn damit kann keine Personality-Politik gemacht werden. Solche Fragen stellen einen ganz anderen Zugang zur Politik dar.

Franziska Teuscher: Fragen, die hier ankn?fen, sind: Was ist Politik? Ver?dert sich etwas in der Politik? In der institutionellen Politik ver?dert sich kaum etwas. Aber Politik ist ja nicht nur Parlamentspolitik, sondern auch die Politik der Umweltorganisationen oder Gewerkschaftspolitik. Hier sollten wir ansetzen, um Ver?derungen zu erreichen. Ein mir wichtiges Thema ist die soziale Gerechtigkeit, die Verteilung von Arbeit, von Reichtum in unserer Gesellschaft. Daran kn?fen andere Politikfelder an. ?er die Fragen der Arbeitsverteilung oder ?er die Geschlechterfrage stellen wir auch die Machtfrage. Die Machtfrage ist eine zentrale politische Frage der Linken schlechthin.

C?ile B?lmann: Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und Verteilung ist f? mich die Grundmotivation der politischen Arbeit ?erhaupt. Sonst k?nte ich mich zur?klehnen und das Leben geniessen. Seit ich politisch t?ig bin, nehme ich wahr, dass das Verteilungsungleichgewicht st?dig zunimmt. Dadurch werden immer mehr Leute ausgegrenzt.
Ich muss einen Massstab haben f? mein konkretes politisches Alltagsverhalten, ich brauche eine ?erzeugung, eine Utopie, die ich im konkreten Fall anwenden und umsetzen kann. Solche Utopien haben nicht mehr viele PolitikerInnen.

L?st sich diese linke Perspektive in Worte fassen als emanzipatives Weltbild? Solche Weltbilder werden ja heute der Linken eher abgesprochen.

Ursula Koch: Diese Diskussion beginnt von neuem, sie war lange Zeit versch?tet, sei es aus Resignation, aus einem Anpassungs- oder einem Legitimationsdruck. Die Bereiche, in denen wir traditionellerweise stark waren, n?lich kreatives Denken, Ideen entwickeln, experimentierfreudig sein, diese F?igkeiten sind heute versch?tet. Ohne solche Visionen- oder Gedankenarbeit kann aber Politik nicht existieren. Ich stelle fest, dass viele Leute ein Riesenbed?fnis nach solchen Visionen haben, aber es ist nicht mehr "modern", man getraut sich nicht, dies zu benennen. Es gilt, dies wieder hervorzuholen.

M?ste die Linke nicht zuerst den Freiheitsbegriff von den B?gerlichen zur?kerobern? Ohne Freiheit l?st sich doch kein emanzipatives Handeln, keine Gerechtigkeit beispielsweise in der Verteilung erreichen?

Ursula Koch: Freiheit und Gerechtigkeit sind sehr eng miteinander verkn?ft. Freiheit n?zt nichts, wenn die Mittel fehlen, sie auch zu gebrauchen.
Wer soll und kann das Subjekt linker Politik sein? Die unteren Schichten verf?en ?er keine politische Repr?entanz mehr, w?rend die SPS ihre Unterst?zung bei der Mittelschicht gewinnt.

Franziska Teuscher: Es wurde gesagt, die Menschen h?ten sich von der Politik verabschiedet. Aber eigentlich hat sich die Politik von den Leuten verabschiedet. Die Frage der Armut wurde beispielsweise nicht von den linken Parteien aufgegriffen, sondern von den Gewerkschaften und der Caritas. Da wurde dann gestaunt, dass das gr?ste Armutsrisiko heute bei Familien liegt, dass es nicht nur alleinerziehende Frauen, sondern auch die Durchschnittsfamilie betrifft.
Wir m?sen uns die Frage "Wo machen wir Politik?" auch auf der institutionellen Ebene immer wieder ?erlegen. Der Vorstoss des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB um Minimall?ne und die Lohnfrage ist sehr wichtig. Diese Frage ist auch bei vielen Linken ein Tabu. Da kommt eine gewisse S?tigung bei Linken in guten Positionen zum Ausdruck, die sich ihrer vielen Privilegien gar nicht mehr bewusst sind. Menschen in prek?en Arbeitsverh?tnissen hingegen sind den ?onomischen Zw?gen derart ausgesetzt, dass f? sie eine freiheitliche Lebensgestaltung kaum m?lich ist. Solche Fragen m?sen wir aus den Bewegungen wieder auf die institutionelle Ebene bringen.

C?ile B?lmann: Eine dieser Randgruppen, die du erw?nst, sind die MigrantInnen, die mittlerweile zwanzig Prozent der Bev?kerung ausmachen. Es ist eine Katastrophe, dass sie keine Mitbestimmungsrechte haben und dieses F?ftel in der Politik dadurch einfach aus dem Wahrnehmungsbereich f?lt. Sie sind ja f? die institutionelle Politik als W?lerInnen nicht interessant. Dass diese Menschen als S?denb?ke verwendet werden f? alles, was schlecht l?ft und seine Ursachen in Deregulierung und Neoliberalismus findet, und die Frustrationen der Bev?kerung auf diesem Segment der Bev?kerung ausgelebt werden, finde ich unglaublich. Mir als Mitglied der Rassismus-Kommission werden diese Prozesse immer st?ker bewusst, aber viele von denen, die diese Abbauprozesse in Verwaltungen oder Firmen zu verantworten haben, sind sich nicht im Klaren, was sie eigentlich anrichten. Es fehlt an Bewusstsein f? die Folgesch?en solcher Politik der Ausgrenzung und der Umlenkung der daraus entstehenden Frustrationen auf marginalisierte Randgruppen. Es braucht nur noch ein paar Funken, damit da schlimme Dinge passieren.

Ursula Koch: Wir erleben fast ein d??u. In den Dreissigerjahren hatten wir auch Massen, die sich mobilisieren liessen. Linke, Juden, Zigeuner und Homosexuelle wurden zu S?denb?ken gemacht. Auch heute l?st sich das Kleinb?gertum gerne f? solche Strategien einspannen. Darauf m?hte ich jetzt nicht weiter eingehen.
Mich st?en Pauschalurteile wie: "Die Linke macht nicht..., die Linke tut nicht..." Das erinnert mich an Menschen, die sagen: Was ich nicht kenne, existiert nicht. Es existiert aber trotzdem. Zu Umverteilung, Arbeit, Armut, Familienpolitik usw. gibt es eine Menge Konzepte und Vorst?se der SPS im Parlament. Dass davon wenig realisiert wird, ist richtig, aber die Versuche sind da. Wer sagt, die Linke tut nichts, dem muss ich sagen, dass das nicht stimmt. Es stimmt aber, dass wir nicht die Mehrheiten besitzen, um uns durchzusetzen. Die Frage ist nun: Warum nicht? Meine Antwort: Weil es die Linke nicht versteht, Mehrheiten zu mobilisieren. Es gibt keine sozialen Bewegungen in unserem Land, es herrscht der R?kzug ins Private. Das Problem liegt nicht bei den Konzepten, auf der technischen Ebene, sondern bei der Mobilisierungskraft.

Das W?lerInnenpotenzial der linken Parteien hat sich weg von den ArbeiterInnenschichten hin zu den Mittelschichten verschoben. Da m?sten sich linke Parteien doch ?erlegen, wie sie diese wieder gewinnen k?nten. Sonst bleiben sie eine Partei von Altlinken, die f? sich selbst Mittelstandspolitik betreiben.

Ursula Koch: Da br?chte es zuerst einmal soziologische Analysen. Grunds?zlich muss man sich doch fragen: Wer interessiert sich ?erhaupt noch f? Politik?

Franziska Teuscher: Es interessieren sich immer noch viele Menschen f? Politik. Wir m?sen uns aber ?erlegen, wie wir mit ihnen gemeinsam etwas ver?dern k?nen. Denken wir an die Arbeitszeitverk?zung: Verschiedene linke Str?ungen m?en schon lange gesagt haben, wie n?ig eine generelle Verk?zung der Arbeitszeit ist. Jetzt l?ft eine Volksinitiative der Gewerkschaften, die M?e hat, die n?igen Unterschriften zusammen zu bekommen. Weshalb? Weil viel zu wenig dar?er diskutiert wird – auch in den Gewerkschaften. Auch die institutionelle Politik muss solche Fragen aufgreifen. Sonst denken die Menschen, diese Politik betreffe sie nicht, und sie ziehen sich zur?k.
Es ist eine Realit?, dass es im politischen Alltag keine linken Mehrheiten gibt. Es gilt darum, B?dnispartnerInnen zu suchen. Diese gibt es auch in b?gerlichen Parteien. Sehr gefreut hat mich beispielsweise, dass meine parlamentarische Initiative zur Einf?rung einer Kinderrente in der Kommission mit Hilfe der CVP durchgekommen ist, obwohl ?erall Sozialabbau betrieben wird. Ich mache mir keine Illusionen, dass dies eine Ver?derung ank?digt, aber hier haben wir einen konkreten Fall, in dem eine gewisse Einigkeit bestanden hat.
Damit ist angesprochen, dass grosse Konzepte schliesslich in konkrete Projekte gegossen werden m?sen. Machen wir uns mit einem Vergleich zu den Dreissigerjahren nicht schw?her als wir sind? Wir haben ja auch einiges erreicht: Menschenrechte, grosse Konventionen (wie die Sozialcharta, Kinderkonvention) in den Verfassungen, Einklagbarkeit rassistischer ?ertretungen...

C?ile B?lmann: Tats?hlich haben wir grosse Fortschritte erzielt bei den internationalen Konventionen. Nur stellt der hirnw?cheartige neoliberale Diskurs um Deregulierung und Abbau sozialer Leistungen eine gegenl?fige Tendenz dar. Die Frage nach der Einklagbarkeit, nach der M?lichkeit der Nutzung dieser Rechte stellt sich. Dazu braucht es zuallererst das Wissen bei den Menschen, dass diese Rechte existieren. Es braucht auch viel Mut, einen Gang nach Strassburg zu wagen. Ich glaube, der neoliberale Trend ist viel entscheidender als das Vorhandensein dieser guten Instrumente.

Ursula Koch: Ich m?hte auf den Vergleich zu den Dreissigerjahren zur?kkommen. Analysen zeigen auf, wie Menschen in bestimmten ?onomischen Situationen reagieren. Besteht ein Klima der Angst, der Verunsicherung, dann ist es die Aufgabe der Politik, dagegen zu wirken. Der neoliberale Diskurs hat aber dazu gef?rt, dass das Subjekt, mit dem (und nicht f? das) Politik gemacht wird, marginalisiert worden ist.
Viele soziale Bewegungen sind auf Grund gelaufen. Wie schaffen wir es, Menschen aus dem R?kzug ins Private wieder in die Politik zu holen? Wie machen wir klar, dass Politik sie auch sie betrifft?

Franziska Teuscher: Mir klingt das zu pessimistisch. Wir haben in den letzten Jahren nicht nur R?kschl?e erlitten, ich denke an die Revisionen von Arbeitsgesetz und Arbeitslosenversicherung. Dort ist es gelungen, die Menschen wieder betroffen zu machen und damit gegen die neoliberale Politik ein Zeichen zu setzen.

Dann sollte die Linke vielleicht etwas weniger Mittelstandspolitik betreiben?

Ursula Koch: Es stimmt einfach nicht, dass die Linke eine Mittelstandspolitik betreibt. Mit solchen Aussagen werden die Menschen reduziert auf ihre ?onomischen Interessen, als ob Menschen eindimensionale Wesen w?en, die sich nur f? ihre eigenen ?onomischen Interessen einsetzen. Das greift zu kurz. Man kann aus Emp?ung ?er Ungerechtigkeit oder Verletzung von Menschenrechten Politik machen, auch wenn man gut verdient. Es gibt zwar von ihrem Einkommen her sehr viele mittelst?dische Linke, das bedeutet aber nicht, dass sie eine Mittelstandspolitik betreiben. Betrachten wir die politische Agenda, dann ist das weiss Gott keine Mittelstandspolitik. In erster Linie ist es eine Umverteilungspolitik zugunsten der unteren Schichten.

C?ile B?lmann: Dem stimme ich zu. Wollte ich selber nur meine Interessen verteidigen, h?te ich beispielsweise f? die Wohneigentumsinitiative gestimmt, denn ich besitze mit FreundInnen zusammen ein Haus. Nat?lich gibt es Menschen, die den Kopf sch?teln und sagen: Du stimmst gegen deine eigenen Interessen. Dort merke ich, dass ich ein anderes Verst?dnis von Politik habe. Da ich keine eigenen Kinder habe, m?ste ich mich in dieser Logik auch nicht f? die Mutterschaftsversicherung einsetzen, wie ich es seit Jahren tue. Seit es die Gr?en gibt, f?lt auf, dass die MitgliederInnen aus gut ausgebildeten Mittelschichten stammen.

Ursula Koch: Wieder stellt sich damit die Frage nach dem politischen Subjekt. Wir leben in einer ausgesprochenen Klassengesellschaft. Wer das Links-Rechts-Schema als ?erholt bezeichnet, erz?lt Humbug. Krass gesagt, halten wir uns Sklaven, die nichts zu sagen haben, die als politische Subjekte nicht existieren, die a priori politisch entm?digt sind. Sie stellen eigentlich das klassische Proletariat dar, das den gr?sten ?onomischen Druck und die gr?ste Deprivilegierung der Freiheiten zu tragen hat. Und dieses Proletariat hat keine M?lichkeiten, sich politisch-institutionell zu artikulieren.
Wir k?nen gar nicht mit diesen Menschen arbeiten. Wenn jemand behauptet, wir wollen nicht mit ihnen zusammenarbeiten, sondern nur f? die Mittelschicht politisieren, ist das nicht wahr. Ich k?nte f? Z?ich viele Beispiele nennen, was wir dort alles versucht haben, um mit PortugiesInnen, SpanierInnen, T?kInnen zu arbeiten. Es war aber absolut unm?lich. Es war einfach kein Interesse vorhanden. Es kamen immer die drei, vier gleichen Interessierten.

Das Ende des Links-Rechts-Schemas wurde von Anthony Giddens, dem Chefdenker der heute regierenden englischen Sozialdemokratie behauptet. Mit seinem Programm hat New Labour die Wahlen gewonnen. Man spricht vom Zeitalter der Sozialdemokratie. Seht ihr in Europa eine neue Politik oder nur neue Politiker?

C?ile B?lmann: Ich habe den deutschen Koalitionsvertrag gelesen. Wir h?ten eine andere Schweiz, wenn die darin festgehaltenen Ziele bei uns verwirklicht werden k?nten, auch wenn es noch nicht das Gelbe vom Ei ist. Denken wir an die ?ologisierung, an die Umverlagerung, die Verteuerung der Energie und Entlastung der Arbeitsnebenkosten oder an den Atomausstieg. Wird das in den n?hsten vier Jahren wirklich umgesetzt, so ist dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Franziska Teuscher: Auf dem Papier sieht der Vertrag tats?hlich gut aus. Aber die Umsetzung wird schwierig sein. Wir k?nen die Verh?tnisse in Deutschland auch nicht auf die Schweiz ?ertragen, weil wir ein ganz anderes politisches System haben. Wir m?sen innerhalb unseres Systems Ver?derungen bewirken. Der Blick nach Deutschland kann dazu allerdings sehr motivieren.

Die Schweiz ist bekannt als Land der Sozialpartnerschaft, des Arbeitsfriedens und der Zauberformeln. Wo seht ihr die Rolle linker Politik in unserer Konkordanzdemokratie?

C?ile B?lmann: Wir drei haben da unterschiedliche Rollen. Die Gr?en sind im Parlament die gr?ste Nicht-Regierungsfraktion. Als Partei verstehe ich unsere Rolle so, dass wir Ideen liefern und in die Zukunft blicken – Ideen, die irgendwann mehrheitsf?ig werden sollen. Die SP ist da mehr von der Realpolitik gepr?t.

Ursula Koch: Nicht nur, sondern auch. Wir beteiligen uns als Linke in der Minderheit an einer Regierung mit einer klaren b?gerlichen Mehrheit.
In letzter Zeit h?e ich oft: H?ten wir doch das selbe System wie in ?terreich oder Deutschland mit wechselnden Mehrheiten. Aber das System ist nicht der springende Punkt. In Deutschland hat die Linke im Wahlkampf bereits alle Konzessionen gegen?er den W?lerInnen vorweggenommen, um ?erhaupt zu einer Mehrheit zu kommen. Bei uns l?ft das anders. Wir m?sen in unseren Programmen keine Konzessionen an gew?schte Mehrheiten machen. Aber Kompromisse und Zugest?dnisse machen wir jeden Tag, sonst kommen wir in einer b?gerlichen Gesellschaft nicht voran. Letztlich spielt das System keine Rolle, sondern es z?len die Resultate f? die Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben. Die Zauberformel, ?er die jetzt so heftig diskutiert wird, und all die anderen Nebens?hlichkeiten sind ?erhaupt nicht wesentlich.

C?ile B?lmann: Die Schweiz bringt mit ihrem anderen politischen System auch nicht v?lig andere gesellschaftspolitische Resultate hervor als die anderen L?der.

Franziska Teuscher: Ich w?de nicht behaupten, dass die Resultate vom politischen System v?lig unabh?gig sind. Mit den direktdemokratischen Instrumenten k?nen die Menschen hier partizipieren. Daraus resultiert eine unterschiedliche Art der Politik. In der Konkordanzpolitik nimmt die Sozialdemokratie eine spezielle Rolle ein, denn sie profitiert von diesem Machtkartell, ?ssert aber immer wieder in der ?fentlichkeit, sie sei halt eine Minderheitspartei. Wir Gr?-Alternativen stellen radikalere Fragen ohne R?ksicht auf gewisse Abkommen. Mit diesen Fragen muss sich die SP immer wieder auseinandersetzen.
Die Ressourcenfrage beispielsweise wird uns in den n?hsten Jahren stark besch?tigen. Mit Moritz Leuenberger als Energieminister m?ste die SP hier eine viel pointiertere Rolle einnehmen. In der Frage der Atomtransporte oder der Verl?gerung der Betriebsbewilligung von AKW haben sich die Nachteile dieses Eingebundenseins gezeigt.

Wie k?nen Fragen, die zurzeit nur im Bewusstsein von Minderheiten dr?gend sind, auf die politisch-institutionelle Ebene gebracht werden?

C?ile B?lmann: Die ?ologische Frage ist noch schwieriger zu portieren und zu politisieren als die soziale. ?ologie hat bisher noch wenig mit dem Leben der Menschen zu tun, auch wenn das Wissen um die Problematik vorhanden ist. Auch aus der politischen Agenda ist diese Frage verschwunden. Das ?onomische ?erdeckt gegenw?tig einfach alles.

Ursula Koch: Es gibt weltweit unz?lige Beschwichtigungsversuche, aber nirgends eine Politik, die alle Probleme rechtzeitig l?en kann. Damit will ich sagen: Es handelt sich nicht nur um die Frage der Zeit. Es stellt sich auch die Frage: Wer tr?t und setzt diese Politik ohne Tyrannei durch? Wer tr?t, auch bei demokratischer Mitwirkung der V?ker, die Politik, die noch zur rechten Zeit kommt?

Franziska Teuscher: Ich w?de es nicht so negativ sehen, dass ?ologie kein Thema mehr ist. In der Energiefrage zum Beispiel passiert nicht einfach nichts. Energieabgaben werden diskutiert, erneuerbare Energien sollen anl?slich des neuen Elektrizit?smarkgesetzes gef?dert werden... Bei solchen Fragen haben wir Ansatzpunkte, um weiterzukommen. Wir m?sen den Druck aufbringen, dass die AKW abgeschaltet werden und dass die B?gerlichen von ihrem Versorgungsdruck-Diskurs endlich abkommen. Wir m?sen bei bestimmten Themen einfach hartn?kig genug sein, dann k?nen auch radikale Positionen mehrheitsf?ig gemacht werden. Wir haben die guten Ideen.

Ursula Koch: Das stimmt, aber wir m?sen die Strategie der Schnecke anwenden, der langsamen, z?en ?erzeugungskraft. Denken wir an die Mutterschaftsversicherung: 53 Jahre haben wir darauf gewartet. Die Frage stellt sich, ob wir f? alle Probleme so viel Zeit haben.

Franziska Teuscher: Betrachten wir die Frage der nachhaltigen Entwicklung. Institutionell ist sie abgesegnet. Aber es passiert in der Schweiz relativ wenig, auch mit der Rio-Konvention. Als linke Politikerin kann ich diese Konvention nicht den Umweltorganisationen allein ?erlassen. Wir sind diejenigen, die Vorschl?e ausarbeiten k?nen und Ideen bringen m?sen, auch auf der Ebene der institutionellen Politik.

Was erhofft ihr euch von den Nationalratswahlen?

Ursula Koch: Eine Verst?kung unserer Mandate und damit mehr Einfluss. Daneben sind Wahlen auch dazu da, die eigenen Positionen und Ideen zu kl?en und zu vertreten.

C?ile B?lmann: Auch ich erhoffe mir mehr Mandate. Ich bin allein in einer Nationalratskommission, auch Franziska ist allein. Das bedeutet enorme Arbeit. W?en wir st?ker, k?nten wir diese Arbeit besser aufteilen.

Franziska Teuscher: Betrachte ich die Fragen der Politik in den n?hsten Jahren, m?sen die Rot-Gr?en und auch die SP unbedingt ihre Positionen ausweiten. Die Zukunft geh?t Rot-Gr?.

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