Email Inhalt aktuelle Nummer Echo/Diskussion Impressum
Home Webseite durchsuchen Archiv Bestellen

 

Moma 11/12.99 – Inhaltsverzeichnis

10 Jahre Mauerfall

Die Subjekte der eigenen Befreiung

Roland Brunner Editorial
Viktória Tóth TAGEBUCH
Warten, Aufbruch, Enttäuschung Warten?
Gespräch mit Zelimir Zilnic, Jeta Xharra und Haranath Tadepally Europa zwischen den Grenzen
Betrachtungen von den Rändern
Gespräch mit Slavoj Zizek Zweite Aufklärung für den Westen
Gespräch mit Hans Ulrich Jost "Notre égoisme légitime"
Schweizer Politkunst überdauert die Wende
Jakob Juchler "Wilder Kapitalismus"
Osteuropa zehn Jahre nach der Wende

 

Florian Wick 1989-1999
Zu einer Veranstaltung des Friedensrats
Beat Leuthardt Flüchtlingspolitik durch die Nato
Peter Hug Die Friedensdividende blieb aus
Marion von Osten MoneyNations
Andreas Zumach Schöne neue WeltORDNUNG
Daniel Lampart Eigenwilliges Produktverständnis der WTO
Peter Hug Hegemoniale Integration
Yvonne Zimmermann Im Schatten des keltischen Tigers
Josef Lang Neuer Kulturkampf ums Militärische
Maritza Le Breton und Doro Winkler Migration von Frauen aus Ost- und Mitteleuropa
Timothy Garton Ash Mitteleuropa? Aber wo liegt es ...
Ulrike Borchardt Die Renaissance des Krieges
Siegfried Kogelfranz Verwirrende Welt
Franz Horváth und Kurt Seifer Besprechungen
Editorial TINA erfüllt keine Versprechen

Zehn Jahre ist es erst her, seit die wirtschaftlichen, politischen und rüstungstechnischen Bemühungen des Westens im Fall der Berliner Mauer und des Ostblocks gipfelten. Das System hatte abgewirtschaftet und entliess seine BürgerInnen. Wer könnte sie vergessen, die Bilder des Aufbruchs, der Euphorie, des Falls der Mauer und des Aufstiegs der Menschen zum aufrechten Gang gegen Westen, die "Heimkehr nach Europa", das Versprechen einer europäischen Identität und die Vorstellung vom Einzug ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das Joch der Geschichte schien wie über Nacht abgeschüttelt.

Demokratie, Freizügigkeit, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, materieller Wohlstand, Konsumgüter für die Massen... der Versprechungen des Westens für diese Menschen im Osten waren gar viele. Die real existierenden Exportartikel des Westens bestanden neben schönen Worten aber vor allem aus harten Tatsachen: Wirtschaftsliberale, die dem Osten Abbruch statt Umbau verordneten, Politiker und Vertreter von Weltbank und Grosskonzernen, die sich ihre lokalen Partner wie Rosinen pickten, solange sie nur genug Profit versprachen. "There is no alternative!" die von Englands alter Iron-Lady formulierte Sachzwang-Ideologie, bekannt geworden unter ihrem schönen Namen TINA, bestimmte den Weg des Ostens in die Zukunft. Wo dieser Osten genau begann, wo er aufhörte, und wo die Mitte lag, darüber entschied die Wirtschaft, allenfalls die Politik, jedenfalls nicht die Geografie. Wer erinnert sich schon daran, dass Prag weiter westlich liegt als Wien und auch immer da gelegen hat. Für die Mehrheit der Menschen in Osteuropa brachte der Fall der Mauer mehr politische Freiheit, von der sie nicht leben können, und weniger materielle Sicherheit, ohne die politische Freiheit zum Geschwätz wird. Inseln des Räuber-Kapitalismus, Wüsten der Demokratie. Und doch müssen wir uns fragen: Wie würde es diesen Menschen heute gehen, wenn die Mauer stehen geblieben wäre? Hätte diese Staatsform, die sich als Sozialismus bezeichnete, den Menschen eine bessere Zukunft geboten?

Auch den Menschen im Westen wurde mit dem Fall der Mauer viel versprochen: Endlich sei die Bedrohung durch den allgegenwärtigen Kommunismus vorbei und die Zeit des Friedens beginne. Von Friedensdividenden war die Rede und von neuem wirtschaftlichem Aufschwung dank neuer Absatzmärkte. Weg mit nutzlos gewordenen Armeen, weg mit den Schnüffeldiensten, weg mit dem ganzen ideologischen Ballast der Landischweiz, her mit den Milliarden, damit wir die neue Freiheit sozial absichern können. Weit gefehlt, ausser Spesen nichts gewesen.

Die Schweiz hat den Kalten Krieg verloren. Diese Aussage bringt auf den Punkt, wo die Schweiz am härtesten getroffen wurde: im Verlust ihres Status als Sonderfall. Das kleine Land zwischen den Blöcken wurde in die Normalität der Nachkriegszeit entlassen und musste feststellen, dass es nicht genügt, nur NICHT zu sein. Neutralität zwischen nicht-existenten Blöcken gibt keine Identität ab und Profil gewann die offizielle Schweiz in den zehn Jahren seit Verlust der Mauer auch nur im negativen Sinne als Land der Verweigerer und Profiteure.

Drum endlich ran an die Welt, rein in die Uno. Es bleibt zu hoffen, dass die offizielle Schweiz den Schritt wagt, ihren BürgerInnen diesen Schritt vorzuschlagen. Wenn das Projekt der Öffnung auf einen militärischen Auslandmarsch reduziert wird, macht man damit weder den Ewiggestrigen noch sich selber einen Gefallen. Eine offzielle Diskussion um den Uno-Beitritt würde zudem erlauben, die laufende Unterschriftensammlung einzustellen, bevor sie vor lauter Breite und mangels Tiefgang und aktiver Basis schon beim Sammeln scheitert. Der Weg der Schweiz nach Europa führt über die Uno. Der Weg aus der Niederlage im Kalten Krieg und aus dem selbst gewählten Reduit führt über den Grat einer europäischen Integration, die mehr sein muss als eine Teilmenge der globalisierten Wirtschaftsmacht. Reissen wir die neuen Schutzwälle des Schengener Abkommens ein, wie früher die Stadtmauern geschleift wurden. Die modernen Barbarenstämme, Banker und Bosse, lassen sich von diesem modernen Limes ja auch nicht abschrecken. Die Schweiz wie Europa können nicht als Festung überleben, auch wenn der Westen heute 60 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben verantworten muss. Die politischen Versprechen des Westens sind noch nicht eingelöst auch für die Schweiz nicht. Da bleibt noch viel zu tun. Packen wirs an.

Roland Brunner

oben.gif (951 Byte)

© MOMA 8031 Zürich

MOMA Home

Webbetreuung